Corvus Corax muss es anscheinend schnell langweilig werden, denn nach ihrem erfolgreichen Nebenprojekt Tanzwut nahmen die acht Musiker gemeinsam bereits ein weiteres Projekt in Angriff. Wie schon lange angekündigt, handelt es sich um ein aussergewöhnliches Projekt. Und bei einem solchen Ausnahme-Werk sollte erst einmal die Vorgeschichte beleuchtet werden:

Meister Selbfried & Co. sehen sich selbst als eine Art moderne Spielmänner und setzen sich intensiv mit dem Leben der mittelalterlichen Spielleute auseinander. Bei ihren Recherchen über diese Berufsgattung sind sie - was unumgänglich ist, wenn man sich mit Liedgut aus dem Mittelalter beschäftigt - natürlich auch auf die Carmina Burana gestossen. Dies ist eine grosse Textsammlung aus dem 13. Jahrhundert, die kirchliche, aber auch viele weltliche Liedtexte enthält. Nun haben Corvus Corax einen Teil der Schriften (insgesamt gibt es in der Carmina Burana über 240), in denen es um Saufen, Liebe, Lust, Lügen und Geld geht, total neu vertont. Das alleine wäre noch nichts aussergewöhnliches. Speziell ist aber, dass hierfür Mittelalter-Musik mit Klassik durchmischt wurde und somit ein neuartiges Klangbild erstanden ist.

Die Berliner haben für dieses Projekt keinen Aufwand gescheut. So entstand die bisher grösste angelegte Produktion in Deutschland, bei der z.B. bis zu 400 Spuren pro Titel im Studio vorhanden waren. Der Personalaufwand war genau so überwältigend: etwa 170 Musiker waren beteiligt: So haben unter anderem ein ganzes Philharmonieorchester, ein Orchesterchor und ein weibliches Gesangsensemble ihren Teil zu dem Musikerlebnis beigetragen. Dazu waren Kollegen von Bands wie Subway to Sally, Cultus Ferox, Potentia Animi und Estampie ebenfalls involviert.

Wie zu erwarten war, fängt das Werk mit "Fortuna" bereits opulent an; Zuerst Geigen und Pauken und schliesslich ein Chor, der auf Latein singt, lassen einem in einer Oper wähnen. Dann erklingen im Hintergrund auch die Dudelsäcke und man weiss erst gar nicht so recht, ob das nun zum klassischen Chorgesang passt. Wenn diese zwei Gegensätze aber wie z.B. bei "Florent Omnes" nicht zusammenfallen, sondern sich vielmehr abwechseln, öffnen sich einem nicht nur neue, sondern auch tolle Klangwelten. Die schönen, extrem kräftigen Chor-Parts sind übrigens etwas vom eindrücklichsten der ganzen Musik. Weil letztere so unglaublich facettenreich ist, kann man noch beim x-ten Durchlauf von "Cantus Buranus" interessante Details entdecken. Manchmal ist es bei der ganzen Fülle zwar recht schwer, einzelne Instrumente (sogar zwei Alphörner sind dabei) herauszuhören und zu identifizieren, aber das ist eigentlich nicht einmal so schlimm. Denn wichtiger ist die Gesamtstimmung, welche erzeugt wird und die ist sehr einzigartig und geradezu bombastisch und versetzt einem immer wieder auf Neue in Staunen. Die Dichte der etwas gewöhnungsbedürftigen Musik zwingt einem ausserdem geradezu, sich nur auf das Zuhören zu konzentrieren und man kann nur erahnen, welche Wucht das ganze Werk erst bei einer Live-Aufführung haben wird.

Es sind auch Nummern vorhanden, die etwas mehr als andere hervorstechen. So animiert das rassige Zusammenspiel zwischen Dudelsäcken, Pauken und Orchester-Instrumenten in "Dulcissima" sogar zum Tanzen. Einzig das merkwürdige Geheule des tschechischen weiblichen Gesangsensemble erzeugt bei mir ein Stirnrunzeln.

Ganz klar: Die selbst ernannten Könige der Spielleute werden für dieses Werk viel Lob einheimschen. Ob einem die Mischung zwischen Klassik und Mittelalter-Sound gefällt oder nicht ist schlussendlich nicht mal das wichtigste – so oder so erbringen Corvus Corax mit ihren Mitmusikern eine einzigartige, bemerkenswerte Leistung. Respekt!

Albuminfo

Punkte

 

0/5

Label

Roadrunner Records

Veröffentlichung

8/2005

Format

CD

Land

Genre

Black Metal