Kerbenoks "O" ist eine irgendwie seltsame Mixtur. Da findet man die Besinnlichkeit zeitloser Dornenreich-Werke, die folkige Unschuld von Agalloch, die alte Boshaftigkeit norwegischer Krächzmetaller und die Ideologie eines misanthropischen NABU-Mitglieds.

Hab‘ ich vielleicht irgendeine Würze vergessen? Möglicherweise die unbestreitbar vorhandene, gegenwartsbezogene Bodenständigkeit der zwei treibenden Kräfte hinter Kerbenok – Stefan und Christopher aus Schleswig-Holstein. Die spiegelt sich in dieser offensiven Form bereits im verhältnismässig kurzen Aufmacher "Aus der Stille..." wider, als dieser mit dem erstaunlich echt klingenden Sample eines vorbeifahrenden Baufahrzeugs endet, der die zuvor eingeleitete Naturkulisse (Vogelgezwitscher und Blätterrauschen, verdammt, das könnten tatsächlich echte Aufnahmen sein!) durchpflügt.
Mehr oder minder radikal zeigt das Zweiergespann damit, was uns in der nächsten guten Stunde erwartet. Die musikalische Abrechnung mit der allmählichen Zerstörung der Natur durch den altbekannten Homo Sapiens. Die dafür erforderliche, grundlegende Aggression und Abneigungseinstellung manifestiert sich instrumentell in extrem komplexen Songstrukturen, in einer gigantischen Spanne zusammengelegter Tonspuren, die alle wunderbar miteinander harmonieren. Kerbenok zogen vier zusätzliche Sessionmusiker zu Rate, die "O" mit klassischen und altertümlichen Instrumenten in eine derartige Feinheit schliffen, dass hier ein bisher kaum da gewesenes Beispiel für tiefschwarzgefärbten Folk, sprich Pagan Metal vorliegt.

Nachdem wir die zwei Zwölfminüter "Heimstatt in Trümmern" und "Im Kreise ziehen wir unsere Runden" hinter uns gelassen haben, schallt unverhofft ein quotenskandinavisches Stück aus den Boxen. Mit "Frihet er vares" beweist Stefan zwar seine Sprachkenntnisse, der plötzliche Umbruch nagt aber ein wenig an der bisher sehr stringenten Struktur des Albums.
Die im chronologischen Verlauf des Werkes zunehmende Präsenz weiblicher Gesangsparts, für die wohl Sessionmusikerin Loretta verantwortlich sein dürfte, süssen unseren ohnehin angeregten Hörergeist nochmal dezent nach. Hervorragende Vorarbeit leisteten die kaum schwarzmetallischen Instrumentalpassage, die vor allem in den langen Stücken oft eingesetzt werden. Hier kommen neben der professionellen Spieltechnik vor allem jene vielschichtigen Instrumente zur Geltung, die sonst allzu gern im Schatten der verzerrten Saitenprügel verschwinden.

In der zweiten Hälfte beginnt "O" zweifellos gemächlich auszuklingen; die Härte des Black und Pagan Metal weichen immer öfter einer beinahe schon jazzigen Bluesrhytmik. "Hardangervidda", ein Tribut an eine norwegische Hochebene, wartet nochmal mit skandinavischen Lyrics und brutalen, gewaltigen Knüppelausbrüchen auf. In eben diesen, sich dem Ende nähernden Ausklangstücken erzeugen Kerbenok eine emotionale Tiefe titanischen Ausmasses. Eine richtige Lösung des Naturzerstörungsproblems wird uns dabei nicht präsentiert, in der Musik schwingt eher eine pessimistische Resignation mit, die Gewissheit, dass nur der Einzelne noch etwas umwälzen kann. "Schule deinen Verstand, als sei er eine scharfe Klinge" rät uns Stefan diesbezüglich. Noch können wir etwas tun, wir, die motiviert sind und die Natur respektieren und dem Beton vorziehen.

"O" wird nie langweilig, obwohl die musikalischen Pfade nach kurzer Zeit durchschaubar werden. Aber wen interessiert das schon, wenn man sich dadurch nur noch mehr auf die nächsten Titel freuen kann und jedes einzelne Liedwerk auf der Scheibe genussvoll erwartet. Eines der ganz grossen Alben des Jahres 2008 – für Fans der Holsteiner Kerbenok ein göttliches Geschenk, für Neueinsteiger ein musikalisches Highlight.

Albuminfo

Punkte

 

5/5

Label

Northern Silence Productions

Veröffentlichung

1/2009

Format

CD

Land

Genre

Black Metal