Holt Euch lieber erstmal ein Bier, bevor Ihr weiterlest, das wird ein verflucht langes Review (ouuh! - Red.). Gorguts gibt's also immer noch, gepriesen sein die Götter. Kleine Geschichtslektion für die Nicht-Geriatriker (hä? - Red.) unter unseren Lesern: Gorguts aus Kanada veröffentlichten in den frühen Neunzigern, etwa zu der Zeit, als Death Metal endgültig der ganz grosse Hype wurde, zwei Alben mit perfekt gemachtem und prima gespieltem, aber nicht besonders originellem DM der amerikanischen Prägung. Den grossen Durchbruch schafften sie aber nicht, und nach dem zweiten Album wurde es still um die Band. Ob es am Mangel an Originalität lag, oder daran, dass sie von ihrem Label Roadrunner abgesägt wurden, als Death Metal nicht mehr der grosse Trend war, bleibe mal dahingestellt. Jedenfalls verschwanden Gorguts erstmal in der Versenkung und tauchten erst 1999 mit fast komplett neuem Lineup und dem Album "Obscura" wieder auf. Und dieses Album hatte es in sich. Jenseits sämtlicher Normen zelebrierten sie ihre ureigene Interpretation dessen, was Death Metal ist, klangen dabei oft eher nach Jazz, manchmal ziemlich zugedröhnt, meist schwer nachvollziehbar und immer genial. Die Scheibe hat sich in den zwei Jahren seit ihrem Erscheinen selten für lange Zeit aus meinem CD-Player verabschiedet und gilt unter den Liebhabern des technisch hochstehenden, avantgardistischen Death Metal längst als Meilenstein.

Und jetzt sind die Jungs um Luc Lemay also mit einem neuen Album und schon wieder umgekrempelten Lineup wieder da, und allein schon diese Tatsache ist eigentlich ein lautes "Hurra!" wert, denn solch geniale Acts wie Gorguts werden meist von der Presse in die Pfanne gehauen, verkaufen keine CD's, weil ihre Musik in keinster Weise mehrheitsfähig ist, und lösen sich irgendwann sang- und klanglos auf. So geschehen mit Cynic, Atheist und allen andern, die sich derartige Experimente getraut haben. Nur ist es leider so, dass der "Obscura"- Fan nach Einlegen von "From Wisdom To Hate" erstmal entsetzt aufschreit. Schon nach den ersten paar Sekunden stösst die blechern klingende Produktion sauer auf, und der erste Song, "Inverted", erscheint schon fast erschreckend simpel. Genaugenommen ist "Inverted" eigentlich ein ziemlich gewöhnlicher Death Metal-Song mit ein paar vereinfachten "Obscura"-Riffs und einigen Morbid Angel-Versatzstücken. Bei den nächsten zwei Songs können die Kanadier dann schon eher Erinnerungen an ihr letztes Album wecken, insbesondere der Titeltrack weiss durch einige reichlich schräg zusammengeschraubte Kombinationen aus Blasts und verschleppten Breaks zu überzeugen. Beide Songs verlieren sich aber nach etwa der Hälfte in eher nichtssagendem Midtempo-Einheitsbrei, der zwar nicht schlecht klingt, aber dann endlos wiederholt wird, was nicht gerade geistreich wirkt. Darauf folgt dann mit "The Quest for Equilibrium" eindeutig der kreative Tiefpunkt des Albums. Der Song beginnt mit einem billig produzierten Synthesizer-Intro, bei dem sich Gorguts erneut bei Morbid Angel bedienen, und mündet dann in eine Reihe von eintönigen Midtempo-Riffs, die... ebenfalls arg nach Morbid Angel klingen. Rhythmisch zwar durchaus interessant gemacht, aber seit wann sind Gorguts eine drittklassige Morbid Angel-Kopie, und was bitte soll der Quatsch?

Bis zu diesem Song kann die Scheibe also nicht so recht überzeugen. Irgendwie klingt das ganze so, als wären Gorguts im Nachhinein über ihre eigene Experimentierfreudigkeit auf "Obscura" erschrocken und würden nun versuchen, den dort kreierten Stil irgendwie auf Biegen und Brechen in eingängigere Bahnen zu lenken. Die Riffs klingen zwar immer noch nach "Obscura"-Material, sind aber straffer arrangiert, und die Songs kommen mit deutlich weniger Riffs und dafür umso mehr Wiederholungen aus und werden dadurch teilweise erschreckend vorhersehbar. Für eine Band, die vor zwei Jahren noch ein Album abgeliefert hat, an dem man Monate zu grübeln hatte, bis man es endlich verstanden hatte (und ich behaupte übrigens immer noch, dass "Obscura" ein Konzeptalbum ist, aber lassen wir das...), doch eher mager. Aber dann kommt "Unearthing the Past" und mit ihm die grosse Erlösung. Plötzlich scheint die Band wie ausgewechselt und verschachtelt Riff an Riff ineinander, dass zumindest mir ein wahrer Erleichterungsseufzer entfährt. Zwar bemüht man sich auch bei diesem Song sichtlich um ein klares Klangbild und eine nachvollziehbare Struktur, diese ist aber deutlich komplexer als auf der ersten Hälfte der Scheibe und kann vor allem durch ein paar echte Ideen anstelle von blossem "und jetzt kommt das nächste Riff, und zwar vier Mal" glänzen. Schon besser. Und dann kommt's noch besser. Nämlich mit "Elusive Treasures" und einer killermässigen laut- leise Dynamik, wo sich eine dieser schon fast verloren geglaubten zugekifften Passagen mit verfremdetem Bass mit einer wütenden Death Metal-Attacke abwechselt. Aber das war's noch nicht, beim nächsten Song wird's sogar noch besser und Gorguts bauen im besten "Obscura"- Stil alles um eine von diesen fast aber irgendwie nicht ganz harmonischen Melodien herum ein kaputtes Death Metal-Stück auf, wie es ganz bestimmt in keinem Lehrbuch steht. Auch experimentieren sie hier nochmals mit einem anderen Bass-Sound herum, was ebenfalls prima funktioniert. Mit dem abschliessenden Instrumental "Testimonial Ruins" folgt dann endgültig die Rückkehr in die "Obscura"-Zone, und das dümmliche "The Quest for Equilibrium" ist endgültig vergessen.

Tja, und jetzt stellt sich natürlich die grosse Frage, was davon zu halten ist. Kann ich Euch auch nicht sagen. Wer "Obscura" viel zu schräg und disharmonisch fand, findet vielleicht an dieser Scheibe eher gefallen (aber nimmt sie wahrscheinlich spätestens bei den letzten beiden Songs aus dem CD-Player). Fans der letzten Gorguts-Scheibe bekommen eigentlich nur auf der Hälfte der Scheibe etwas geboten, der Rest ist eher Gorguts Light und zur harmlosen Hintergrundbeschallung geeignet. Die typischen Gorguts-Riffs sind natürlich auch bei den, ähem, eingängigeren Songs vorhanden, und ebenso natürlich stecken diese Songs trotz allem den grössten Teil der Konkurrenz locker in die Tasche. Warum Gorguts allerdings überhaupt solchen Kram fabrizieren, wenn sie's, wie man auf der zweiten Hälfte der Scheibe eindrücklich hört, immer noch besser können, wird mir wohl auf ewig ein Rätsel bleiben.

Albuminfo

Punkte

 

0/5

Label

Seasons Of Mist

Veröffentlichung

6/2001

Format

CD

Land

Genre

Death Metal