"Weisse Nacht" verzichtet auf jedwede pathetische Einleitung und zieht den Hörer ins kalte Wasser. Nur wenige Sekunden Spielzeit bedarf es, um einiges zu vermitteln: Ekpyrosis ist (wieder) etwas wilder, schroffer, schneller geworden. Die Liebe zu markanten und überraschenden Riffs ist geblieben. Der Sound ähnelt dem von "Ein ewiges Bild" nur geringfügig - beispielsweise ist das Schlagzeug abgesehen von seinem unerwarteten Stil, der doch an das Dargebotene der im Februar erschienenen "Firmament/Reise"-EP erinnert, soundtechnisch etwas mehr in den Hintergrund gerückt und büsst wummernde Tieftöne zugunsten von rumpeligen Snare-Eskapaden im Mastering ein.
Abgesehen von diesem uns zeitlich sehr unmittelbar ereilenden ersten Eindruck wartet Ekpyrosis mit weiteren Überraschungen auf. So schliessen bis auf Track III alle Songs mit sanften Keyboardklängen, die wir so noch nicht von dem ambitionierten Bonner Gespann kannten. Wäre mir aus der Lektüre der wenigen existenten Interviews mit Ekpyrosis nicht bekannt, dass das Schlagzeug tatsächlich (und vermutlich analog) von einem Drummer aus Fleisch und Blut eingespielt wird, würde ich nun spätestens beim vorliegenden Album mahnend ein ‚Drumcomputer!’-Schild hochhalten. Immerhin zeugen die teils mehrere Minuten umspannenden Knüppeleskapaden von einem erheblichen technischen Anspruch und vor allem von Kondition.
Wurden auf "Ein ewiges Bild" noch Valborgsche Pfade minimalistischer Doom/Sludge-Instrumentierung und -Songstrukturen aufgefahren, sind die unterschiedlichen Tonspuren nunmehr weniger streng voneinander differenziert. Ekpyrosis liefern beispielsweise teils durchgehende Gitarrenleads, die neben Schlagzeug und Gesang von dezenten synthetischen Klängen durchwoben werden. Ferner arbeiten einige Riffs mit Trugschlüssen, die ihrem Wesen nach mit der Hörerwartung des Rezipienten brechen, dafür aber untypische und überzeugende Alternativen bereitstellen.
Geblieben sind die lyrischen Absurditäten. In besagten Interviews wurde offenbart, dass während des künstlerischen Schaffens bei Ekpyrosis die Textkreation zeitlich erst nach der Musikkomposition angesiedelt wird. Inhaltlich und stilistisch ist die Lyrik auf "Weisse Nacht" auch, aber weniger profan als auf dem Vorgänger, sondern wieder etwas näher an "Mensch aus Gold" orientiert und damit wesentlich abstrakter und expressionistischer. Der Sinn hinter den Texten verschliesst sich mir grösstenteils. Ich wage mich nur, Track 5 als (hervorragende) musikalische und vor allem lyrische Darstellung einer Erfahrung der Selbsttranszendenz zu deuten, aber gewissermassen kann man das auch auf die anderen fünf Songs projizieren.
Vorgetragen werden die Texte im Altbekannten Duett aus Drecksau-Growls und Fjoergyn-Sprechpassagen (wobei beide Vergleiche wenn überhaupt hinken). Allerdings überwiegen die Sprechgesänge zahlenmässig deutlich.
Die in der Subkultur und im Rezensententum kursierende Behauptung, dass dritte Album festige den Stil der Band, halte ich für groben Unfug. Wenn die Selbstverwirklichungsidee, die Ekpyrosis in Interviews bisher indirekt vermitteln, nicht nur ein Akt der Selbstpromotion ist (und das schliesse ich aus), dann dürfte es der Bonner Band ohnehin wurscht sein, wie der jeweilige "Stil" ihrer Veröffentlichungen von Dritten wahrgenommen wird.
Nur äusserst selten habe ich mir einen Tonträger dermassen oft und über verschiedene Ausgabegeräte angehört, wie es bei "Weisse Nacht" der Fall ist. Nach den zahlreichen Durchgängen erlaube ich mir nun letztlich aber endlich ein Urteil: Hier liegt erneut ein Glanzstück vor, das durch seine textlich vermittelte Proklamation profaner und abstrakter Eindrücke eben jene Differenz zu überwinden scheint. Es steht für sich selbst und entzieht sich exakter Kategorisierungen. "Weisse Nacht" fundiert wie dessen Vorgängeralben auf der Breite an Dispositionen, die dem Hörer des Werkes zur Verfügung gestellt werden. Es verfügt über das schier spirituelle Potenzial, dem gewillten Lauscher jenes seltene Hörgefühl zuteil werden zu lassen, das Wege ins Transzendente aufzuzeigen vermag. Vielleicht ist es hier legitim, erneut eine gewisse Ähnlichkeit zu Fjoergyn vorzutragen, die sich vor allem auf der Ebene der Rezeption abspielt, weniger auf Basis der Instrumentierung.
Retrospektiv halte ich "Mensch aus Gold" für die bisher beste Veröffentlichung aus dem Hause Ekpyrosis. "Ein ewiges Bild" und letztlich auch "Weisse Nacht" sind jedoch nicht minder empfehlenswerte Knaller. Hier liegt jedenfalls ein schwieriges Album vor, ein schweres, anmutiges und mystisches. Das Songwriting kommt bei Ekpyrosis von Innen - in einem Prozess, der Selbstzweck ist und nicht gezielte Genre-Anvisierung und scheinbar ebenso wenig gezielte Nicht-Anvisierung. Abschliessend bleibt der übliche Satz: Wer Zeitgeister-Veröffentlichungen mag, muss hier zugreifen (auch wenn diesmal Paradigms als Schirmherr dient).
Albuminfo
Punkte |
4/5 |
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Label |
Paradigms Recordings |
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Veröffentlichung |
12/2013 |
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Format |
CD |
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Land |
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Genre |
Black Metal |