Gibt’s den Schrott heute eigentlich noch? Blätter sammeln, trocknen (natürlich einen Tag vor Abgabetermin im Ofen, was dann in köstlichem Schimmel an den Proben resultiert), auf Papier fixieren, beschriften? Jedenfalls ist es genau diese gleichnamige didaktische Folter aus der Schulzeit, die ich mit dem Albumtitel "Herbarium" verband. Auf den zweiten Blick scheint das Ding aber wesentlich interessanter als die aufgezwungene Auseinandersetzung mit dem lokalen Ökosystem, auch wenn Ähnlichkeiten bestehen. Denn die Songtitel auf vorliegender Scheibe sind je ein lateinischer Name für eine giftige Pflanze.

Hinter "Herbarium" steckt das Projekt Turdus Merula. Hinter dem Projekt Turdus Merula steckt die Dame Dísa. Diese stammt aus Schweden und übernimmt bei ihrem musikalischen Schaffen alles bis auf das Schlagzeug selbst. Dieses wird von einer gewissen Person namens Draug übernommen, über die sonst gar nichts weiter bekannt ist. Dísa öffnet ihre erste Vollplatte mit dem Stück "Datura stramonium", welches wiederum von einem Piano eingeleitet und beendet wird. Äusserst schrebbelig kommt dies daher, klingt nahezu übersteuert. Den Zwischenteil übernimmt dann ein äusserst überraschendes, brutales Geknüppel. Walzende Drums und von unglaublich starkem Overdrive ausgezeichnete Gitarren. Die Stimme der besagten Dame leistet dabei einiges. Irgendwo zwischen kehligem Gekeife und ekelhaften Kreischen liegt die Stimmbandarbeit der Schwedin und scheint nahezu auf dem wabernden Soundmatsch der Saiteninstrumente zu schwimmen. Schob ich die wirklich miese Soundqualität beim ersten Hören zunächst noch auf die dafür verwendeten mittelmässigen Ohrstöpsel, stellte sich dann beim erneuten Hören über die heimische Anlage heraus, dass jene stellenweise nur noch als Schrebbeln zu bezeichnende Musik tatsächlich genauso auf CD gebannt ist.

Nachdem ich die Scheibe dann ein paar Tage unberührt liegen liess und sie dann an einem kalten Herbstabend wieder ankurbelte, begann sie ihre Wirkung noch stärker zu entfalten. Bisher kamen mir nur sehr wenige musikalische Werke unter, die derart subtil begeistern können. Mit Adjektiven wie schaurig, gruselig und ergreifend lässt sich das vorliegende Werk eigentlich ganz gut umrahmen, letztlich beurteilen muss das aber wohl jeder selbst. Für mich bleibt "Herbarium" ein Meisterstück schwarzer Kammermusik; nicht für jede Gelegenheit und nur für den expliziten Hörgenuss geeignet. Garantiert kein Soundtrack fürs vorweihnachtliche Zimtstern Backen Daheim.

Bei Turdus Merula setzt man auf rauen Black Metal der monotonen Art. Motive werden bis zum Erbrechen wiederholt und von den scheinbar elektronisch bearbeiteten Vocals obszön umgarnt. Unterschiede zwischen den Songs sind nur an Kleinigkeiten festzustellen und selbst dann sind sie eher fühl- als hörbar. Kurzum: Wer jene Sparte extremen Schwarzmetalles mag, liegt hier genau richtig. Dísa scheint eine Fähigkeit zur musikalischen Hypnose zu besitzen. Monotonie vs. Langeweile, ein typischer Fall von Ansichts- und Geschmacksache. Für mich ist der Fall aber klar. 11 Punkte.

Albuminfo

Punkte

 

4/5

Label

Le Crépuscule du Soir

Veröffentlichung

11/2010

Format

CD

Land

Genre

Black Metal