Nach fünfzehn Jahren Erfahrung hat man im Hause des Wacken Teams einiges gelernt, aber so manches wird man erneut überdenken müssen. Fakt ist: Mit 35'000 offiziellen und laut Gerüchten etwa dem Doppelten an inoffiziellen Besuchern ist das wichtigste Metal Open Air im deutschsprachigen Raum an einer Grösse angelangt, die in Anbetracht des logistischen Aufwandes nur noch schieres Staunen auslöst. Für jedermann ist etwas dabei, denn von Mittelaltermusik über Power Metal bis hin zu Black und Death Metal ist alles vertreten.
Es ist nicht mehr das kultige Ambiente eines zierlichen Open Airs, der sympathische Non-Profit-Charakter oder gar die Suche nach unbekannten Bands, die einem hoch in den Norden zieht. Es ist die schiere Grösse, die maximale Show und die wahnsinnige Menge an hochkarätigen Bands, die einem dazu bringen, die Zelte zu verladen – oder eben des grossen Pomps wegen auch abschrecken. Abschreckend an dieser unglaublichen Menschenmenge dürften nicht zu letzt die damit verbundenen Wartezeiten sein.
Wacken 2005 ist in der Tat sinnverwandt mit Warten: Anstehen vor den Eingängen, warten auf die trocknende Sonne, lauern vor den Toiletten. Von diesen hatte es tatsächlich viel zu wenige. Wer nicht auf ein hässliches Dixiklo wollte, musste wiederum fünfzig Cent berappen. Eigentlich kein Problem, wenn die Gegenleistung stimmt. Zwar waren die Toiletten meist in akzeptablem Zustand, doch wer dringend sein Geschäft verrichten musste, war äusserst schlecht bedient. Kann mir bitte jemand erklären, warum bei achtzig Prozent männlicher Besucherschaft nur unter fünfzig Prozent der Klos für Männer waren? Anstehen war die logische Folge aus einer unlogischen Überlegung. Wenigstens haben sich ein paar Jungs beim Zeltplatz C die Mühe gemacht, mit Mikrophonkommentaren, Lesungen und Live-Musikeinlagen die Wartezeiten zu verkürzen.
Das hört sich alles ganz negativ an. Doch nicht nur der negative Aspekt des Wartens ist Gleichwort zu Wacken 2005. Denn was Wacken 2005 ebenfalls ausmachte, ist eine nie da gewesene Bandauswahl und eine unvergessliche Atmosphäre: Für alle, die als Frühanreisenden schon ein paar Tage Zeltplatzstimmung genossen hatten, gab es ein gespanntes Warten auf viel versprechende und unterschiedlichste Formationen. Auch immer wieder faszinierend ist die Menge an Material, welches die Metaller nach Wacken mitnehmen: Über speziell geschmückte Fahrzeuge, eigene Konzertbühnen, Sofas und Eingangstüren gab es noch etliche Sachen mehr zu sehen. Es ist also immer wieder unterhaltsam auf dem Zeltgelände herum zu pilgern, nicht nur wegen dem Materiellen, sondern auch wegen den Leuten.
Die Höhepunkte: Ensiferum darf als richtige Stimmungsband bezeichnet werden die durch ihre Heavy / Folk Metal Einlagen auf der Party-Stage mehr Leute mitrissen als so mancher auf den grossen Bühnen. Die Band um Markus Toivonen hat immer wieder in ihre zehnjährige Bandgeschichte zu rückgeblickt, aber vorwiegend mit Stücken vom neusten Album verzückt. Als absoluter Höhepunkt des Freitags dürften Apocalyptica bezeichnet werden. Mit ihren Celli und den Coverstücken beispielsweise von Metallica konnten sie eine mächtige Menschenmenge begeistern. Dissection haben mit allen Klassikern und zwei Livepremieren eine starke Show geliefert. Ob man nach dem Auftritt seine Gitarre zerschlagen muss um den Höhepunkt zu setzen, ist anscheinend umstritten. Die Überraschung von Samstag war neben den erwartet stimmungsvollen Dissection Marduk. Der neue Sänger machte seine Sache äusserst gut und erfüllte Mark und Nieren mit seiner hallenden Kreischstimme. Den wohl besten Gig vom gesamten Festival lieferten Kreator: Nach der Eröffnung mit dem Titelsong des aktuellen Albums folgten alle Bandklassiker – genau was man sich von Mille und Band gewünscht hat.
Mitten drin: Die Eröffnungsband Tristania haben richtig gut gespielt. Allerdings haperte es zu Beginn etwas an der Stimmung, da die meisten noch beim Eingang zum Bühnenbereich anstanden. Nach den hohen Tönen von Tristanias Frontröhre Vibeke Sten gaben sich Candlemass mit ihren tiefen Doom Metal Klängen die Ehre. Der Rückkehrer Messiah machte Candlemass wieder zu dem, was Candlemass ausmacht. Trotz seines Hungers - Candlemass waren etwas knapp in Wacken eingetroffen - hat er seine Sache einwandfrei gemeistert. Naglfar haben am Freitagmorgen die Kurve gerade noch gekriegt: Nach anfänglich recht schlechtem Klang hat der Mischer das Rad in die richtige Richtung gedreht. Doch Stücke wie „Blades“ hätten unbedingt gespielt werden müssen. Eisregen machte auf der Party-Stage ordentlich Stimmung. Dass ihre Lieblingsbeschäftigung das Provozieren ist, machten sie mit zahlreichen Kommentaren klar. Mit dem provozierenden neuen Titel „1000 Tote Nutten“ sorgten sie für ein Raunen in den Rängen. Dazu beendeten sie ihren Gig mit einer leicht abgeänderten Version des zensierten „Thüringen“-Stücks. Sie schlossen ihr Konzert extra etwas früher, damit wir uns die wahre „Elektrohexe“ von Within Temptation noch anhören konnten. Sharon hat von der Hauptbühne mit ihrer Popstimme die längste Zeit die ruhigen Teile von Eisregen versalzen.
Die Enttäuschungen: Es fällt schwer Corvus Corax mit dem sechzigköpfigen Orchester als Enttäuschung zu titulieren. Meine Erwartungen als Klassikliebhaber waren enorm hoch geschraubt und wurden nicht erfüllt. Wie erwartet konnten sich die elektronisch abgenommenen Instrumente des Orchesters nicht in natürlichem klassischem Klang präsentieren. Der Sound wirkte undifferenziert. Auch kompositorisch kamen Corvus Corax nicht an Karl Orffs Interpretation der Carmina Burana heran. Die Stücke waren flach und wenig mitreissend, der Chor schwächlich. Es ist wirklich bedauernswert, dass nicht mehr drin lag.
Zum Schluss noch einmal ein Rundumschlag: Wirklich positiv war die Informationspolitik der Organisatoren und überhaupt die gesamte organisatorische Leistung, denn bis auf die erwähnten Kleinigkeiten lief alles reibungslos ab. Durch Laufbänder und dem Mittbühnenbildschirm, welcher während Pausen ebenfalls als Infotafel benutzt wurde, waren alle immer auf dem Laufenden. Mit dem Kampf gegen den Schlamm durch Stroh versuchten die Organisatoren dem schlechten Wetter entgegen zu wirken. Man hätte dieses jedoch grosszügiger einsetzen können und zwar vor allem auf den Wegen des Zeltgeländes – Es dürften wohl einige Autos beim Wegfahren stecken geblieben sein. Positiv in Erinnerung bleibt auch die super Stimmung und Atmosphäre, die trotz nicht immer so tollen Wetters kaum getrübt wurde. Man kann sich streiten, ob Hitze oder Regen zu bevorzugen ist. Mir war ab und an etwas Regenschauer ganz recht und die Einsatzkräfte des Rettungsdienstes hatten somit auch weniger zu tun. Fürs nächste Jahr wünsche ich mir, dass die Karten strenger limitiert oder das Gelände, sowie die Eingangskapazitäten vergrössert werden. Zu guter Letzt muss man sich fragen, wie man dem stellenweise schlechten Sound bei vielen Bands entgegenkommen könnte und wie das Wacken Team die Überschneidungen von Klängen zweier Bühnen noch weiter minimieren kann. Und trotz all den Kritikpunkten: Wenn im nächsten Jahr der Ruf aus Wacken ertönt, werden die Pilgerreisen wieder beginnen, denn Wacken ist und bleibt ein einzigartiges Erlebnis.