A Sickness Unto Death haben mit ihrem Zweitling ein Monster des Doom Metals erschaffen. Voller Pathos und Melancholie kreiert der Fünfer eine Spannung, die sonst selten in diesem Bereich erreicht wird. Doch wer steckt hinter der Truppe?
Ihr habt euch nach einem Buch des dänischen Philosophen Søren Kierkegaard benannt. Thematisch wurde das existenzielle Problem der Verzweiflung bei euch aufgegriffen. Gibt es weitere Aspekte, die euch philosophisch mit dem Dänen verbindet oder warum habt ihr diesen Bandnamen gewählt?
Tim Ziegeler: Der Existenzialismus war damals hin und wieder Gesprächsthema bei uns. Dass es letztendlich auf die Krankheit zum Tode hinauslief, ist allerdings einer grossen Portion Zufall geschuldet. Wir hatten bereits einige Ideen für Bandnamen gesammelt, als Michael bei einer Aufnahme-Session plötzlich das Kierkegaard-Buch in seinem Regal entdeckt hat. Schon auf der ersten Seite findet sich die These "Despair is the sickness unto death", womit wir auch gleich den ersten Albumtitel hatten, haha. Aber im Ernst: Das Buch behandelt Themen, die uns damals beschäftigt haben. Was für ein starkes Statement dieser Bandname ist, ist mir aber erst mit der Zeit bewusst geworden.
Kierkegaard’s Buch ist teilweise religiös bestimmt. Wie steht ihr zu den Weltreligionen und was nehmt ihr für eure Musik davon mit?
Tim Ziegeler: Kierkegaard war ein tiefgläubiger Mensch, für den die Verzweiflung als unumgängliche Erfahrung auf dem Weg zur Erlösung gehörte. Die Suche nach Seligkeit und Erlösung sind existenzielle Themen, die mich beschäftigen und auch eine grosse Inspiration für meine Texte sind. Sie lassen sich aber auch auf ganz alltägliche Themen übertragen. "Lost" zum Beispiel ist ein Song über jemanden, der seine Überzeugung verloren hat. Er steht aber auch stellvertretend für jede sonstige Art von Entzweiung. Oft ist Religion ja nicht mehr als eine Meta-Ebene, auf die wir ganz profane, oft sogar selbstsüchtige Wünsche projizieren. Generell habe ich mein Problem damit, wenn Bands ihre Musik und ihre Texte unter das Diktat einer Ideologie stellen. In den meisten Fällen geht dies auf Kosten der Kunst. Das gilt für religiöse Bands ebenso wie für die Zeitgenossen, die ihren Nicht-Glauben so fanatisch und überheblich zelebrieren, dass dies schon wieder religiöse, rituelle Züge hat. Ich glaube, ein Schuss mehr Agnostik würde beiden Seiten gut tun. Kluge Fragen sind viel wichtiger als kluge Antworten. Innerhalb unserer Band spielt Religion auch keine grosse Rolle. Wir mögen den Existenzialismus mit seinen Themen, zu religiösen Themen haben wir aber unterschiedliche Ansichten innerhalb der Band.
Eigentlich sollte A Sickness Unto Death nur ein Projekt sein. Wie kam es dazu, dass ihr daraus eine richtige Band formiert habt?
Michael Maas: Vor allem wollten wir live spielen! Der zweite, genauso wichtige Grund war, dass wir für das aktuelle Album echte Drums haben wollten. Also habe ich als erstes meinen alten Freund Marius gefragt, mit dem ich schon in Dortmund in diversen Bands gespielt habe. Er war gerade nach Oldenburg gezogen, also passte alles. Giordano und Michael Nowak haben wir dann auch schnell gefunden.
Michael, du beherrscht eigentlich fast alle Instrumente der Truppe selber. Nun habt ihr jedoch die Truppe vollständig besetzt. Beschränkt dich dies in deiner Freiheit oder bereichert es die Truppe? Sind die weiteren Musiker einfach deine Interpreten oder besteht kreativer Freiraum?
Michael Maas: Es ist auf jeden Fall eine Bereicherung! Das Schlagzeug auf "Despair" war ja nur programmiert und das ist auf jeden Fall ein Schwachpunkt der Scheibe. Wir werden demnächst ein paar Live-Session Videos produzieren, bei denen Marius die Drums auch zu zwei oder drei der alten Stücke spielen wird. Ich freue mich schon darauf, die Songs auf diese Weise zu präsentieren! Und dadurch, dass wir die Stücke proben konnten, hat auch die Rhythmussektion ihren Groove gefunden. Ich bin ja eher Gitarrist am Bass - Michael Nowaks Bassspiel ist dagegen das richtige Fundament zu den Drums. Giordanos Solos sprechen sowieso für sich! Allgemein denke ich, dass die Kombination aus Arbeitsteilung und Überarbeitung der produktivere Ansatz ist. Ich behalte mir aber schon das letzte Wort vor (mit Ausnahme von Tims Parts), wir sind keine Basisdemokratie ;-)
Michael, du besitzt das kleine Studio "Refuge", in dem ihr "The Great Escape" eingespielt habt. Die Scheibe klingt äusserst professionell und dürfte ein Werbeträger für weitere Aufnahmen in diesem Studio werden. Wie seid ihr bei der Produktion vorgegangen, um diesen professionellen Klang hinzukriegen?
Michael Maas: Danke! Für Anfragen bezüglich meines Studios bin ich natürlich immer offen (www.refuge-studio.de) ;-)
Ehrlich gesagt ist es schwer eine Produktion als fertig anzusehen, ich höre immer noch Dinge, die mir nicht 100 % gefallen ;-) Aber das ist wohl der Fluch des Tontechnikers. Ich denke drei Dinge sind für eine vernünftige Produktion entscheidend: Erfahrung, eine gute Abhörumgebung und halbwegs vernünftiges Equipment, in dieser Reihenfolge. Erfahrung sammele ich natürlich mit jedem Projekt, ich bin aber immer noch im steilen Bereich der Lernkurve ;-). Ich habe im letzten Jahr sehr viel über die Akustik von Räumen gelernt, habe Akustikmodule gebastelt etc. Das hat sehr viel mehr gebracht als Geld für Equipment auszugeben, wobei ich das natürlich auch getan habe, GAS gewinnt immer ;-)
Tim, erst einmal ein riesen Kompliment zu deinem Gesang. Ich denke, du bist einer der Hauptgründe für die Wiedererkennbarkeit eurer Truppe. In wieweit spielt das Thema "Freiheit" textlich auf eurer neuen Scheibe eine Rolle?
Tim: Wie man bei dem Albumtitel vermuten kann, findet es sich in vielen Songs wieder. "The Great Escape" ist ein klassischer Aussteiger-Song und handelt von dem Wunsch, alles hinter sich zu lassen. Allerdings wollte ich auch die widersprüchlichen Aspekte der Freiheit aufzeigen. In "Judgement" zum Beispiel haben wir einige Sartre-Samples eingebaut, für den zur Freiheit auch die Bürde der Verantwortung gehörte. Wir sind zur Freiheit verdammt.
Tim, ich gehe davon aus, dass du als Mediendesigner für das Titelbild von "The Great Escape" verantwortlich warst. Für mich symbolisiert es den Ausbruch aus dem Lebensgefängnis (Maschendrahtzaun) in die Freiheit (Vögel). Liege ich richtig?
Tim Ziegeler: Ja, der Titel des Albums stand schon im Vorfeld fest, dann habe ich mir Gedanken über ein passendes Artwork gemacht. Die optische Aufmachung ist bei uns keine Nebensache sondern Teil des Albums. Und du hast natürlich Recht: Der Zaun ist ein Gefängnis. Auf der anderen Seite ist er aber auch ein Schutz. Sich aus der Masse zu emanzipieren bringt immer auch Gefahren mit sich.
Die Kritiken zu eurem neusten Album sind bisher durchwegs positiv bis überschwänglich. Ist Kritik für euch wichtig oder macht ihr einfach euer Ding ohne Rücksicht auf die Presse?
Michael Maas: Nach der langen Produktionsphase ist es natürlich sehr schön, Feedback zu bekommen! Letztlich kann man mit Doom aber auch nicht allzuviele Leute glücklich machen, irgendwer wird sich immer über das Tempo oder eine gewisse Monotonie beschweren ;-)
Tim Ziegeler: Solang man als Künstler hinter seinen Werken stehen kann, ist ein positives Medienecho doch toll. Traurig wird es, wenn die Kunst zur Dienstleistung wird und man als Band vorher plant und überlegen muss, welche Art von Musik wohl den grössten Erfolg bringt. Leider wird ja in jüngster Zeit auch im Metal-Bereich vermehrt gecastet, gezielt für den Markt produziert und dann mit gekaufter PR promotet.
Der grösste Teil der Musik wird heute nicht mehr physisch gekauft. Was hat euch dazu bewegt, eine CD herauszugeben und nicht die Stücke nur online zu vertreiben? Teilt ihr meine Leidenschaft für Digipaks?
Michael Maas: Es ist schon schade, dass Dinge wir Booklet Art und Liner Notes bei Digitalen Releases kaum eine Rolle spielen. Tim hat ja schon seine Meinung zur Bedeutung des Artworks gesagt. Letztlich nutzen wir alle verfügbaren Vertriebswege.
Tim Ziegeler: Für mich ist Musik immernoch primär ein Tonträger, ich kaufe nach wie vor CDs und auch viel Vinyl. Digipaks sind natürlich eine tolle Sache, um die Gestaltung so individuell wie möglich zu machen.
Doom Metal zeigt die Abgründe und die depressive Seite der Menschheit auf. Seid ihr selbst stets nachdenkliche Menschen oder lebt ihr mit A Sickness Unto Death einfach nur diese Seite von euch aus?
Michael Maas: Nachdenklich auf jeden Fall und die Musik ist ein perfektes Ventil und Ausdrucksmittel für die negativen Erfahrungen und Beobachtungen im Leben. Gleichzeitig muss Musik (und Kunst im allgemeinen) nicht immer nur "Self-Expression" sein. Vielmehr kann es auch darum gehen, Wahrheit aufzuzeigen. Dazu eignet sich Doom ganz vortrefflich ;-)
Tim Ziegeler: Wahrheiten aufzeigen, das ist gut gesagt!
Wenn ihr euch in drei Sätzen bei Nuclear Blast bewerben müsstet, warum sollte euch das Label unter Vertrag nehmen?
Tim Ziegeler: Wie wir alle wissen, steht die Musikindustrie ja eh vor dem Bankrott! Wenn man also schon untergeht, dann bitte wie die Titanic: Stilvoll und mit guter Musik. Ich hoffe, diese Antwort war doomig genug?
Schön gesagt, vielen Dank für eure Antworten!