Crematory verlassen die Bretter, die bekanntlich die Welt
bedeuten, das allerdings nicht ganz ohne Frustration über immer weniger
Konzertbesucher, die mangelnde Unterstützung durch die Medien und die fehlende
Wertschätzung von deutschen Bands bei den Labels. Dennoch verabschieden sich
Crematory natürlich auch mit viel Wehmut von ihren langjährigen, treuen Fans und
dem, was sie immer am liebsten getan haben, nämlich live zu spielen.
Markus über gute und schlechte Zeiten, die persönliche Zukunft der Gothic
Metaller und den wichtigsten Crematory Song aller Zeiten, Tears Of Time.
Als ich noch vor einigen Monaten mit Harald über Believe gesprochen habe, hat
sich bezüglich Crematory eigentlich alles noch ganz positiv angehört. Als
Aussenstehender hat einen die Nachricht der Auflösung doch ein wenig
unvorbereitet getroffen. Habt Ihr darüber schon länger nachgedacht, ich meine,
mit Crematory aufzuhören?
Markus: Nein, für uns kam diese Entscheidung auch überraschend. Was Harald über
Believe gesagt hat, war durchaus richtig. Mit Believe hatten wir den höchsten
Chartentry und die besten Verkaufszahlen bis dato. Das Problem war die extrem
rückläufige Anzahl der Konzertbesucher. Bei den letzten drei Tourneen mussten
wir sehr viel Geld drauflegen, und vom Drauflegen kann man nicht lange leben.
Wir lieben es aber, live zu spielen und hassen es, im Studio zu sein. Also haben
wir uns gesagt, dass wir mal abwarten werden, wie die 10 Years Anniversary Tour
läuft. Wir haben’s also im Februar dieses Jahres nochmals gewagt, aber leider
endete diese Tour ebenso in einem Debakel. Danach mussten wir sagen: "Ok, es
geht einfach nicht mehr."
Glaubst Du vielleicht, dass es auch daran liegt, dass selbst in kleinen
Ländern wie der Schweiz mittlerweile das Angebot an Livekonzerten relativ gross
geworden ist?
Markus: Nun, auf unserer letzten Tour haben wir vor allem festgestellt, dass wir
ein ziemlich altes Fanpublikum haben, was auch schön ist, weil man sieht, wie
die Leute mit einem alt geworden sind und dass wir treue Fans haben. Das
Durchschnittsalter liegt wohl um die 30. Uns fehlt der Nachwuchs. Es geht uns
Gott sei Dank nicht alleine so. Auch viele andere Bands mussten ihre Tourneen
mangels Konzertbesuchern und aufgrund schlechter Vorverkaufszahlen absagen oder
abbrechen. Die Kids von heute stehen halt mehr auf Techno und Rave, oder wenn
sie härtere Musik mögen, eher auf New Metal wie Korn, Papa Roach etc. Ich
verstehe das auch. Crematory gibt’s mittlerweile seit 10 Jahren, und wir haben
fast jedes Jahr getourt. Ich würde mir auch keine Band sieben Mal anschauen. Es
ist halt viel interessanter für die Leute, wenn dann mal eine neue Band wie
beispielsweise Nightwish oder HIM kommt, Bands, die eben noch nie hier waren. Es
hat auch niemand das Geld, um sich vier Konzerte im Monat reinzuziehen. Dafür
muss man Verständnis haben, und das haben wir auch. Aber eine Band lebt zu zwei
Dritteln vom Livegeschäft und zu einem Drittel von den Plattenverkäufen, und
wenn plötzlich zwei Drittel wegfallen, dann geht’s nicht mehr.
Das war wohl auch der Grund, warum die Abschiedstournee mittlerweile abgesagt
worden ist.
Markus: Die war nie geplant.
Dann war das wohl mehr ein Gerücht.
Markus: Nach der letzten Tour haben wir uns entschieden, dass wir aufhören und
noch diese Remind-Geschichte durchziehen würden, in erster Linie für uns selbst,
in zweiter Linie natürlich auch für die Fans. Aber ich wollte Remind auch für
mich haben. Als ich die Auflösung im April bekannt gegeben habe, kamen plötzlich
Live-Angebote ohne Ende. Aber das wollten wir dann doch nicht mehr machen. Das
wäre zu sehr ausverkaufsmässig gewesen. Also sagten wir uns, dass wir noch 10
Konzerte respektive Festivals spielen würden.
In Eurer ausführlichen Erklärung zur Auflösung findet man ja auch ein paar
Sätze, die sich ein wenig verbittert anhören. Da ist zum Beispiel von mangelnder
Unterstützung durch Fernseh- und Radiokanäle oder grosse Zeitschriften die Rede.
Es scheint hier also auch eine gewisse Verbitterung gegenüber den Medien mit von
der Partie zu sein.
Markus: Ja klar. Nun gut, das mit den Zeitschriften in der Metalszene hat sich
nach Awake erledigt. Das Hauptproblem ist einfach, dass alle nach England,
Amerika oder Skandinavien schauen. Als deutsche Band bist Du erstmal nur
zweitklassig, auch wenn Du genauso gute Musik machst. Das kriegst Du übrigens
auch von den Plattenfirmen zu spüren. Was mich aber am meisten ärgert, ist die
Tatsache, dass wir eigentlich richtig gute und teure Videoclips gemacht haben,
von Fernsehstationen wie Viva oder MTV aber von vorneherein abgelehnt wurden,
weil sie sagten: "Jemanden mit einem Namen wie Crematory können wir gar nicht
spielen". Diese Aussage kam, bevor sie überhaupt die Videoclips gesehen hatten.
Crematory höre sich zu böse an, meinten sie, vor allem, wenn man eine deutsche
Band ist, wegen der ganzen Nazikacke und sowas. Und wenn sie sich die Videos
dann doch mal angeschaut haben, und Felix plötzlich zu growlen anfing ... na ja,
dann war’s ganz aus. Dann dieser Witz mit der Echo Verleihung! Nationaler Rock
Metal Act. Was für ein Scheiss. Soulfly, Nightwish, Hammerfall. Da frag ich
mich, was daran national ist! Auch in Sachen Förderung läuft nicht viel. Von
unseren guten Freunden Moonspell weiss ich beispielsweise, dass die sogar vom
Kulturminister Portugals Geld als Unterstützung bekommen, mal abgesehen von
Skandinavien, das seine Musiker sowieso fördert. Bei uns wirst Du allerdings als
assozialer Strassenmusiker abgestempelt.
Wenn man jetzt nun geht, geht man da trotz des ganzen Frustes dennoch mit
einem weinenden und einem lachenden Auge? Im Moment habt Ihr sicherlich die
Schnauze ein wenig voll. Aber kommt nicht auch bereits eine gewisse Wehmut bei
Euch auf?
Markus: Ja. Trotz der Schelte von der Presse haben wir immer viele CD’s
verkauft. Wir hatten und haben eine super Fangemeinde. Alles war eigentlich
prima, und als wir jetzt das ganze Wochenende über auf dem Full Force Festival
gewesen waren, hat uns natürlich jeder gefragt, wann denn die Reunion Tour käme
etc. Na ja, auf jedem Fall sind wir fast gleichzeitig mit Judas Priest
aufgetreten. Unser Zelt war gestossen voll. Vor der Hauptbühne, also bei Judas
Priest, war praktisch keine Sau. Der Matthias singt ja zum Schluss immer den
Song Perils Of The Wind. Wir stehen dann immmer hinter der Backline und lassen
ihn das alleine singen. Anschliessend kommen wir raus und verabschieden uns.
Dieses Mal haben einige Leute vor der Bühne geweint, und das berührt Dich dann
schon sehr. Es haben sogar welche von uns mitgeweint, haha. Dir wird halt
plötzlich klar, dass es jetzt langsam zu Ende geht. Dadurch haben wir jede
Sekunde auf der Bühne doppelt so intensiv genossen wie die ganzen Jahre zuvor.
Was werdet Ihr denn jetzt machen? Um einen gescheiten Beruf zu erlernen seid
Ihr ja mittlerweile schon ein bisschen zu alt.
Markus: Höhö, ja Gott sei Dank haben wir alle etwas Richtiges gelernt. Wir haben
erst angefangen, professionell zu werden, nachdem jeder die Ausbildung beendet
hatte. Wir schauen uns jetzt langsam um. Felix arbeitet in einem Platten- und in
einem Piercingladen, das ist halt seine Welt. Der Harald ist Schreiner, Matze
Elektriker und ich Versicherungskaufmann. Daher liegen uns auch schon lukrative
Angebote vor.
Du hast ja schon seit längerer Zeit ein Standbein im Musikbereich. Ich
spreche da von der Band Century, für die Du die Songs schreibst und die Du auch
produzierst. Von Dir wird man daher wahrscheinlich eh bald wieder etwas hören.
Markus: Nun, die Batterie ist jetzt erst mal leer und muss neu geladen werden.
10 Alben in 10 Jahren zu veröffentlichen und viel auf Tour zu sein, Century und
mein Managment, dass ich habe, zwischendurch zu betreuen, das zehrt schon sehr.
Ich möchte jetzt erst mal Abstand gewinnen, mir Zeit nehmen, meine berufliche
Laufbahn einfädeln und mich auf mein Privatleben konzentrieren, um vielleicht in
ein oder zwei Jahren wieder etwas zu machen. Klar, vielleicht ergibt sich mit
Century früher etwas. Aber mit Century habe ich keinen Druck. Von denen erwartet
niemand etwas. Ich kann mir dort Zeit nehmen und machen und tun, wie ich gerade
Lust und Zeit habe.
Ihr seid 10 Jahre aktuell geblieben, wo viele Bands es kaum schaffen, zwei
oder drei Jahre im Gespräch zu sein. Woran glaubst Du, hat das gelegen?
Markus: Da müsstest Du die Fans fragen, weil die haben unsere Platten verkauft.
Wir haben einfach immer nur das gemacht, wonach wir Lust hatten und was wir
konnten. Dies haben wir versucht zu perfektionieren, und Gott sei Dank fanden
unsere Platten immer Anklang bei den Leuten. Es hätte auch anders laufen können.
Wir haben wohl stets den Nerv der Zeit getroffen.
Und dabei seid Ihr immer Crematory geblieben, ohne Euch bis zur
Unkenntlichkeit zu verändern.
Markus: Wir können auch nichts anderes, haha. Wir haben’s auch nie probiert. Die
Linie war spätestens nach dem Illusions Album klar. Das war das, was wir machen
wollten und uns auch gefallen hat.
Was wäre denn aus Dir geworden, wenn Dich Crematory damals nicht genommen
hätten?
Markus: Ich habe Crematory gegründet, haha. Aber ansonsten wäre aus mir wohl ein
Versicherungskaufmann geworden, wie mein Vater, der das schon seit 25 Jahren
macht.
Wenn Dich in 10 Jahren ein Jungspund fragt, in welcher Band Du gespielt
hättest, und er wüsste nicht, wer Crematory gewesen wäre, was für einen Song
würdest Du ihm dann vorspielen, um ihm Crematory vorzustellen?
Markus: Tears Of Time.
Tears Of Time ist also nicht nur der Lieblingssong der Fangemeinde sondern
auch einer der Band.
Markus: Ja klar. Vor allem bedeutet dieser Song sehr viel für mich, weil das der
Titel respektive die Platte war, womit wir den Durchbruch geschaft haben.
Deswegen ist Tears Of Time für mich der wichtigste Song, den Crematory je
hatten. Ausserdem würde das wohl auch der einzigste Song sein, den er vielleicht
noch kennt, haha.
Was war denn der bewegendste Moment in Deinem Crematory Leben?
Markus: Sehr bewegend war natürlich, den ersten Plattenvertrag zu kriegen. Das
war DER Wunsch überhaupt. Auch das erste Mal in den Charts zu sein war sehr,
sehr bewegend, vor allem, weil das keiner von uns erwartet hätte.
Und welches war der ärgerlichste Moment, an dem Du am liebsten alles
hingeschmissen hättest?
Markus: Damals, als der Stress mit unserem ehemaligen Gitarristen begann und wir
uns von Lotte trennen mussten. Das hat mir besonders leid getan, denn er war ein
sehr guter Freund. Wir hatten über die Jahre sehr viel miteinander erlebt, aber
leider entwickelte sich Lotte völlig anders weiter als der Rest der Band, und es
hätte keinen Sinn mehr gemacht, weiterhin zusammenzubleiben.
Welches war der peinlichste Moment?
Markus: Also wir mussten mal den Song Dreams abbrechen, weil wir uns komplett
verspielt hatten, was uns noch nie passiert war. Das war schon ziemlich
peinlich, obwohl Felix den Ausrutscher mit "das war die Singleversion" sehr gut
gekontert hatte, haha.
Ihr habt mit Crematory viel erreicht. Gibt es trotzdem noch einen grossen der
Traum, der unerreicht geblieben ist?
Markus: Ja. Dadurch, dass wir mit Crematory so weit gekommen sind, entwickelte
sich natürlich der Traum, eines Tages einen Stellenwert wie beispielsweise
Metallica zu bekommen. Das wäre dann der zweite grosse Traum gewesen, nach
demjenigen mit dem Plattenvertrag. Wir haben leider auch nie die Chance für eine
vernünftige Supporttour bekommen.
Ich glaube, Du hast mal gesagt, Du würdest unbedingt mal ins Vorprogramm von
Metallica wollen.
Markus: Ja, das wäre mein Traum gewesen! Zu Zeiten des schwarzen Albums. So eine
Chance haben wir aber leider nie bekommen.
Was würdest Du mit all Deinen Erfahrungen einer jungen Band von heute
mitgeben, wenn’s mal so richtig losgeht, beispielsweise mit dem ersten
Plattenvertrag?
Markus: Immer ehrlich sein. Ehrlich zu sich selbst und ehrlich zu den Fans, egal
ob es gut ankommt oder nicht. Aber Ehrlichkeit, so denke ich jedenfalls, zahlt
sich immer aus. Darum haben wir auch offen erklärt, warum wir Crematory
auflösen, dass eben der Nachwuchs und das Geld fehlt, auch wenn einigen Leuten
diese Antworten sicherlich nicht gefallen werden. Unsere Entscheidung war eine
Entscheidung des Kopfes, nicht eine des Herzens. Es ist wie beim Fussball.
Irgendwann musst Du vernünftig sein, das Ganze realistisch sehen und Dir einfach
eingestehen, dass Deine Zeit vorbei ist.
Crematory - Ehrlichkeit zahlt sich immer aus
- Details
- Geschrieben von Skoddete
- Kategorie: Interview
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Crematory verlassen die Bretter, die bekanntlich die Welt bedeuten, das allerdings nicht ganz ohne Frustration über immer weniger Konzertbesucher, die mangelnde Unterstützung durch die Medien und die fehlende Wertschätzung...