Es ist wirklich nicht zu glauben, welch unmenschliche
Verhaltensweisen von Interviewern manchmal an den Tag gelegt werden, denn
Stephan: und Claudio müssen doch tatsächlich schon um 13.00 Uhr am Draht hängen,
und das erst noch an einem Samstag. Trotzdem werde ich mit einem "e schöne guete
Morge" begrüsst. Man staunt immer wieder, es gibt sie noch, die Frühaufsteher.
Aber nun genug blödes Zeug gelabert. Anxiety ist eine junge, schweizerische Band
aus dem Langenthal, die sich dem atmosphärischen und melodischen Death Metal, um
die Länge der Stilbeschreibung auf ein vernünftiges Mass zu reduzieren,
verschrieben hat. Dieser Art von Musik begegnet man in der Schweiz nicht alle
Tage. Grund genug also, um mit zwei der sechs Bandmitglieder ein wenig zu
plauschen.
Erzählt doch mal was über die Bandgeschichte von Anxiety.
Claudio: Wir waren damals alle um die 15 oder 16 Jahre alt und wollten ein wenig
Musik machen. Zu diesem Zweck renovierten wir das obere Stockwerk eines
Bauernhauses und begannen, ein wenig herumzulärmen. Ich konnte eigentlich gar
nicht richtig Schlagzeug spielen, und die Anderen beherrschten ihre Gitarren
auch noch nicht richtig. Ueber einen einzigen Orgel Verstärker haben wir dann
die Gitarren und den Bass angeschlossen und einfach mal ein Jahr lang Krach
gemacht. Als wir die ganze Sache langsam in den Griff bekamen, begannen wir,
Lieder zu covern. Ehm, was haben wir eigentlich gecovert ...?
Stephan: Metallica, Sepultura, Slayer, so in diese Richtung.
Und irgendwann habt Ihr dann angefangen, eigenes Material zu schreiben?
Claudio: Ja. Da gab es einen Song, der Victim hiess. Das ist das älteste Stück,
das wir haben. Es ist nicht mal auf der Demo CD drauf. Bei Victim hatte wir noch
keine Keyboards mit dabei. Es war quasi ein reines Death Metal Lied. Irgendwann
haben wir dann ein erstes Konzert gegeben, noch mehr Songs geschrieben und
Equipment gekauft.
Warum habt Ihr denn einen Namen gewählt, den man so schlecht aussprechen
kann? Gab's noch Alternativen dazu?
Stephan: Du gibst ja die Antworten gleich selber, haha. Nein, ich denke, jeder,
der den Namen einmal richtig ausgesprochen hat, vergisst ihn nicht wieder.
Ihr habt also in den Anfängen Lieder von Sepultura und Slayer gecovert.
Mittlerweile hat sich Eure Musik ja ziemlich verändert. Hat das etwas mit der
Hinzunahme von Thomas am Keyboard zu tun oder war die allgemeine Ausrichtung
schon früher klar?
Stephan: Ich denke, das trifft beides ein bisschen zu. Klar, mit dem Keyboard
kamen klassische Elemente in unsere Musik, die danach auch durch die Gitarren
übernommen wurden. Dieser Teil kam sicherlich von Thomas Mühlemann (keys - Anm.
d. Verf.), da er eigentlich aus dem Klassikbereich kommt. Auf der anderen Seite
hat sich auch der Rest der Bandmitglieder ein wenig verändert. Wir begannen,
andere Musik zu hören und entdeckten, dass auch Bands wie beispielsweise Pink
Floyd eigentlich ziemlich gut sind.
Ich habe Euch im Review mit Gruppen wie Opeth, Moonspell oder Anathema
verglichen. Ist das die Art von Musik, die Euch beeinflusst hat?
Stephan: Das sind schon Bands, die uns sehr gut gefallen. Ich würde sagen, dass
die Bands, die wir gerade mögen sowie die Schnittmenge unserer Ideen unsere
Einflüsse ergeben.
Ihr habt also einfach keine Lust gehabt, nur zwei oder drei Minuten Songs zu
schreiben.
Stephan: Wir haben diese epischen, langen Stücke immer sehr gemocht. Ich finde
es persönlich sehr interessant, wenn man einen Song über sechs oder sieben
Minuten aufbauen kann, denn das ermöglicht Dir eine grössere Bandbreite, die Du
ausschöpfen kannst, weil Du da mehr Zeit hast und langsamer an die Uebergänge
herangehen kannst, anstatt, wie bei einem zwei Minuten Song, sofort voll
anzufangen und gleich wieder damit fertig zu sein.
Das ermöglicht wohl auch, auf der Bühne ein bisschen mehr zu improvisieren
und mit den Songs zu spielen, oder?
Stephan: Das ist bei uns eigentlich weniger der Fall. Wenn wir auf der Bühne
sind, spielen wir das Material so, wie wir es auch geprobt haben. Für
Improvisationen hat es bei uns leider ein bisschen zu wenig Platz ... noch
jedenfalls.
Viele andere Metal Bands aus der Schweiz spielen ziemlich klassischen Metal,
im Sinne von klassischem Death, klassischem Hardcore und so weiter. Das ist ja
bei Euch weniger der Fall. In der Schweiz wird aber im Allgemeinen recht wenig
experimentiert, ganz im Gegensatz zu anderen Ländern. Was glaubt Ihr, ist der
Grund dafür? Mögen's die Schweizer lieber "konservativ"?
Claudio: Das ist schwierig zu sagen. Sicher, viele Bands aus der Schweiz hören
sich recht standardmässig an. Uns hat das einfach nicht gereicht. Aber es ist
natürlich auch schwer, eine eigene Linie zu finden. Es ist einfacher, an einen
bestehen Stil anzuknüpfen als zu versuchen, sich einen möglichst eigenen Weg zu
bahnen.
Wenn man nochmals an Eure Anfangstage zurückdenkt, fragt man sich doch, ob
Ihr nicht ab und zu Lust habt, mal die ganze Atmosphäre beiseite zu legen, um
einfach ein bisschen loszuthrashen. Ich denke da auch an die beiden Lieder für
den Headache Sampler, auf denen Ihr ziemlich aggressiv klingt, was sicherlich
auch an der entsprechenden Gitarrenproduktion liegt.
Claudio: Die beiden Lieder auf dem Headache Sampler sind die ältesten Songs, die
wir auf der CD haben. Die wurden sogar noch vor dem Demo aufgenommen. Klar haben
wir auch noch Lust auf harte Musik, und in den neuen Stücken gibt es auch immer
wieder Stellen, bei denen wir so richtig losbrettern. Diese Elemente wollen wir
auch nicht weglassen.
Stephan: Ich finde, dass es auch beides braucht. Das bezieht sich auch etwas auf
Deine vorherige Frage, wo es um eine klare Richtung und Experimente ging. Ein
wirklich hartes und brachiales Teilstück hört sich um so besser an, wenn es von
etwas "Feinem" eingeleitet wird, weil in diesem Fall der Unterschied viel
krasser wirkt. Auf den neueren Songs spielen wir noch viel mehr mit diesen
beiden Elementen, und wir möchten eigentlich auch in diese Richtung
weitermachen. Sich von Neuem beeinflussen zu lassen, ist sicherlich in Ordnung,
aber vor allem die atmosphärischen Sachen gefallen mir persönlich halt auch sehr
gut, und ich spiele sie auch sehr gerne.
Mit Daniel Brönnimann habt Ihr einen Sänger, der sowohl growlen wie auch klar
singen kann. Daniel Brönnimann ist ja nicht Euer erster Sänger, oder?
Stephan: Doch, eigentlich schon. In unseren ersten Tagen, in denen wir noch mit
diesem Orgel Verstärker gespielt haben, hat ein Freund von uns gesungen, aber
eigentlich nicht so richtig. Das ist übrigens der, der jetzt die Texte schreibt.
Er schreibt also Eure Texte, spielt aber nicht in der Band? Ihr habt Euch
einen Texteschreiber angestellt?
Claudio: Wie gesagt, es ist ein guter Freund von uns, und er hat Spass daran,
nebenher ein paar Texte für uns zu schreiben.
Stephan: Ein Anglistikstudent!
Ihr seid sechs Leute in der Band. Wird das nicht manchmal schwierig, wenn
alle Bandmitglieder gleichzeitig ihre Vorstellungen in die Songs einbringen
wollen? Ich denke da vor allem an die drei Gitarristen, von denen, wie ich
gehört habe, jeweils einer immer den Bass übernehmen muss .... wieso will
eigentlich keiner von Euch fest den Bass übernehmen?
Stephan: Weil alle drei Gitarre spielen wollen. Aber Bass Spielen ist eben auch
sehr lustig! Wir machen beides gerne.
Tauscht Ihr das Instrument dann während des Konzertes untereinander aus?
Stephan: Beim Schreiben eines Songs übernimmt jeweils einer den Bass. Und wenn
wir dann ein Set zusammenstellen, schauen wir darauf, dass wir die Stücke so
aneinanderreihen, dass jeder für zwei oder drei Songs am Bass bleibt, also quasi
blockweise.
Ok, um jetzt nochmals auf die Frage zurückzukommen. Wie gesagt, ihr seid
sechs Leute in der Band. Gibt es da nicht manchmal Schwierigkeiten, wenn jeder
seine eigenen Vorstellungen in den Songs unterbringen will?
Stephan: Nein, eigentlich nicht. Bezüglich der Melodien kommt praktisch alles
von Christoph Eggimann (guitars - Anm. d. Verf.), dem Keyboarder Mühlemann und
mir. Das Schlagzeug vervollständigt dann die Songs. Aber am Schluss gibt es dann
natürlich doch noch immer riesige Diskussionen über das, was wir weglassen oder
anders machen sollen. Aber diese Diskussionen gehören mit dazu.
Claudio: Es dauert halt einfach länger, bis ein Lied fertiggestellt ist.
Dann herrscht bei Euch ein recht demokratisches Verhältnis?
Claudio: Ja, kann man schon sagen.
Stephan: Jein! Haha.
Die Einen sind also demokratischer als die Anderen.
Stephan: Ja genau.
Der Headache Sampler ist nun auch schon eine Weile her. Gibt es denn Pläne,
eine "richtige" CD in Sinne einer Studio CD aufzunehmen?
Claudio: Das war eigentlich schon immer ein Thema, aber das Problem ist eben das
Geld. Wir wollen auch erst dann eine CD aufnehmen, wenn wir genau wissen, was da
drauf kommen soll. Wir wollen unserer Sache sicher sein. Es gibt Bands, die
nehmen einfach mal eine CD auf, weil sie gerade genügend Geld übrig haben. Aber
das ist nicht so unser Ding. Es wird sicherlich mal soweit kommen, dass wir eine
Studio CD aufnehmen, vielleicht in einem Jahr oder zwei.
Stephan: Das Problem ist halt auch, dass drei Leute noch in der Ausbildung sind.
Also mit Anxiieti .... (dieser Name ist wirklich kaum auszusprechen, was
Stephan und Claudio natürlich mit einem hämischen Lachen quittieren - Anm. d.
Verf.) ist sicherlich sobald kein Geld zu verdienen und die Chance, irgendwann
gross rauszukommen und grössere Tourneen zu bestreiten, ist für eine Band aus
der Schweiz sehr klein. Was ist denn Euer Hauptantrieb, mit der Band
weiterzumachen? (man stelle fest, der Interviewer vermeidet elegant, den
Bandnamen ein zweites Mal aussprechen zu müssen - Anm. d. Verf.)
Stephan: Das Spielen an sich, das Kreieren von eigenen Stücken. Das ist schon
sehr befriedigend. Um so befriedigender ist es dann, wenn man diese auch noch
live vortragen kann. Und wenn sie dann den Leuten noch gefallen, ist das bereits
alles, was ich für mich persönlich will. Sicherlich gingen wir gerne auf eine
Europatour oder sowas. Aber wenn es nicht klappt .... bei vielen anderen Bands
klappt es auch nicht. Das ist auch nicht weiter tragisch. Es geht darum, mit den
anderen Bandmitgliedern zusammenzusein und an etwas gemeinsam zu arbeiten. Das
ist für mich das, was die ganze Sache ausmacht. Live spielen ist natürlich
phantastisch, aber es ist nur ein Teil davon. Tagelang im Bandraum zu sitzen und
sich gegenseitig ein wenig anzumotzen, das gehört eben auch dazu. Es hat aber
doch keinen Wert, wenn wir Musik machen, die uns selbst nicht gefällt, nur um
damit irgendwann an grossen Konzerten auftreten zu können.
Habt Ihr denn genug Möglichkeiten, hier in der Schweiz aufzutreten?
Claudio: In letzten Jahr nicht so viel. Ich war eine Weile weg, und dann habe
ich mir auch noch den Fuss gebrochen. Danach haben wir das Demo aufgenommen,
dass ich dann auch an diverse Leute verschickt habe, unter anderem auch nach
Oesterreich.
Wie sind denn die ausländischen Reaktionen auf das Demo?
Claudio: Den Oesterreichern gefällt es, haha. Nein, das ist natürlich
unterschiedlich. Ich habe die Demo CD beispielsweise an alle möglichen Arten von
Clubs geschickt, auch an solche, die normalerweise eher Musik in Richtung Jazz
spielen. Denen hat's natürlich entsprechend weniger gefallen. Andere wiederum
fanden die CD recht gut. Wie gesagt, die Reaktionen waren unterschiedlich.
Welches war denn Euer bestes und welches Euer peinlichstes Konzert?
Stephan: Das peinlichste Konzert war dasjenige im Z7. Das war zu der Zeit, als
unser Drummer den Fuss gebrochen hatte. Wir sind natürlich alle ziemlich nervös
gewesen. Schon lange zuvor hatten wir einen Freund ans Schlagzeug gesetzt und
begonnen, alle Stücke einzuproben. Dieser Freund hat eigentlich sehr gut und
sehr präzise gespielt, aber wir haben die ganze Sache dann trotzdem in den Sand
gesetzt. Auf der Bühne hörten wir uns gegenseitig nicht und spielten völlig
nebeneinander durch. Der erste Song artete ins völlige Chaos aus, und dieses
Chaos wurde dann auch massgebend für die restliche Show. Das ist vor allem
deswegen so schlimm gewesen, weil so viele Leute dort waren. Und dann diese
grosse Location ... dort habe ich echt Angstschweiss bekommen, haha.
Claudio: Ich war jedenfalls froh, nicht auf der Bühne gestanden zu haben, haha.
Mit wem würdet Ihr am liebsten mal auf der Bühne stehen? Was ware so Euer
Traum diesbezüglich?
im Duett: Mit Nevermore!!
Wieso denn gerade mit Nevermore? Die machen ja nicht unbedingt ähnliche Musik
wie Ihr.
Stephan: Die Musik von Nevermore fasziniert uns einfach alle sehr.
Claudio: Absolut brilliant!
Stephan:: Am liebsten ein grosses Konzert mit Nevermore, The Gathering und Iced
Earth. Der Eggimann würde zwar wahrscheinlich lieber mit Cannibal Corpse
auftreten, haha.
Auf die Frage, was denn die zukünftigen Pläne für Anxiety seien, gab es nur
die eine Anwort: "Spielen, spielen, spielen." Dann wurde es langsam wieder Zeit,
eigene Wege zu gehen. Im Falle von Anxiety rief die Bandprobe. Als ich noch
wissen wollte, wann diese denn beginne, meinten Claudio und Stephan: "Irgendwann
jetzt, wenn wir alle anderen Bandmitglieder geweckt haben." Klar, ist ja noch
früh ...
Anxiety - keine Lust auf 3 Minuten Songs
- Details
- Geschrieben von Skoddete
- Kategorie: Interview
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Es ist wirklich nicht zu glauben, welch unmenschliche Verhaltensweisen von Interviewern manchmal an den Tag gelegt werden, denn Stephan und Claudio müssen doch tatsächlich schon um 13.00 Uhr am Draht hängen...