Die Münchner Progressive Death Metaller haben gerade eben ihr erstes Volllängealbum über Metal Blade an den Mann gebracht. "Facticity" ist ein völlig untypisches Death Metal Album, ist es doch für kommerzielle Ansichten sehr komplex geraten. Da heutzutage aber nicht mal ein Prozent der jungen Truppen technisch überhaupt in der Lage wäre, ein solch vertrickt charmantes Album zu konzeptionieren und sich in diesem Prozent kaum jemand so mutig zeigen würde, es auch zu tun, hat der Trupp es mehr als verdient, sich Gehör zu verschaffen. Was die Truppe mit ihrer jazzigen Variante des Todesstahls erreichen will, erfahrt ihr in den folgenden Zeilen von Gitarrenmann Lukas Spielberger.
Ihr habt euch schon 2006 gegründet. Dennoch seid ihr nach sechs Jahren erst bei der zweiten Veröffentlichung angelangt. Habt ihr wenig Zeit für die Band oder seid ihr einfach nur Perfektionisten?
Lukas Spielberger: Von beidem etwas. Over Your Threshold ist ein sehr zeitintensives Hobby für uns, was oft nicht leicht mit Studium und Arbeit in Einklang zu bringen ist. Des Weiteren hatten wir auch mit ein paar Line-Up Wechsel zu kämpfen, was ebenfalls dauert bis jemand gefunden und eingearbeitet ist. Auf der anderen Seite nehmen wir uns bei unseren Songs schon lieber mehr Zeit bis das Ganze unseren Vorstellungen entspricht, als schnell irgendwas hinzuwurschteln.
Da es bisher nicht allzu viele Informationen über euch im Netz gibt, erzähl mal von euren grössten Skandalen!
Lukas Spielberger: Dass keine Skandale im Netz zu finden sind liegt daran, dass es noch keine nennenswerten gibt, haha. Aber vielleicht wird sich dass mit unseren zwei neuen Bandmitgliedern (Ludwig und Kilian) zukünftig ändern, es besteht Potential.
Progressive Death Metaller stellt man sich häufig als intellektuelle Eigenbrödler vor, die sich in ihrer Kammer verschliessen, bis sie die perfekt vertrickte Kombination aus Trommelmusik und Gitarrenfrickeleien geschaffen haben. Entspricht ihr dem Klischee und seit Perfektionisten oder geht ihr ab und an raus und trinkt ein Bier?
Lukas Spielberger: Ab und an (oder regelmässig) raus gehen und ein bis mehrere Bierchen kommt tatsächlich vor, ich glaube in der Hinsicht erfüllen wir wohl das Klischee des Metallers, wie ihn sich die Öffentlichkeit vorstellt. Bei der einen oder anderen Probe kommen uns die Nachwehen dann auch in die Quere, wenn das letzte Bier vom Vortag wieder mal schlecht war. Aber bei Auftritten sollte man sich diesbezüglich schon etwas zurückhalten, wenn es gut werden soll. Auf der anderen Seite ist es für die Art Musik, die wir machen, unumgänglich, auch ein paar der Klischees zu erfüllen, die dem typischen Prog/Tech Death Metaller anhaften. Also ein gesundes Mittelmass aus beiden.
Wenn man sich eure Musikwerke anhört, fabriziert ihr weder irgendetwas Trendiges, noch irgendetwas besonders Konservatives. Wie kam es zu dieser progressiv innovativen Mischung, wo liegen eure Wurzeln?
Lukas Spielberger: Unsere 2008 erschienene EP "Progress in Disbelief" liegt im Gegensatz zu unserem aktuellen Album stilistisch noch eher im Melodic Death/Thrash Bereich. Seit dem sind wir allesamt als Musiker gewachsen und haben eben mehr Gefallen an progressiver Musik gefunden. Ich denke, es ist eine ganz normale Entwicklung, dass sich eine Band erst mal stilistisch finden muss, besonders wenn man bedenkt, dass Over Your Threshold für einige von uns die erste Band ist.
Ihr seid zum Erstaunen vieler bei Metal Blade gelandet. Die meisten sind aber nicht etwa erstaunt, weil ihr es nicht verdient hättet, sondern vielmehr weil ihr nicht gerade eine typische Metal Blade Band seid, von der schon sofort klar ist, dass sie sich gut verkauft. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem Label und was glaubt ihr, warum Metal Blade euch unter Vertrag genommen hat?
Lukas Spielberger: Ich find jetzt gar nicht, dass es eine typische Metal Blade Band gibt. Wenn man sich das Bandrepertoire von Metal Blade anschaut, ist eigentlich ein recht vielfältiges Angebot zu finden. Nachdem wir die Aufnahmen zu "Facticity" abgeschlossen waren, haben wir uns auf Labelsuche begeben und vorab zwei Songs online gestellt. Metal Blade ist darauf aufmerksam geworden, so dass wir uns mit dem fertigen Album, also auch mit Artwork, bei ihnen beworben haben. Warum Metal Blade uns unter Vertrag genommen hat? Ich geh jetzt mal davon aus, dass ihnen unser Album gefallen hat und sie Potential in Over Your Threshold sehen.
Eure neue Scheibe "Facticity" ist soeben erschienen. Die Presse hat euer Werk ziemlich löblich aufgenommen. Nun lässt sich der Endkonsument nur bedingt auf Lobhudeleien der Presse ein und bildet sich ein eigenes Bild. Wie sieht es mit der Feuerprobe bei den Endkonsumenten aus, kommt die Scheibe an?
Lukas Spielberger: Ja das stimmt, die Reviews bisher sind durchgehend positiv ausgefallen, wobei es natürlich wichtig ist, dass sich jeder seine eigene Meinung davon bildet. Aber auch vom Endkonsumenten haben wir bei Auftritten bisher sehr gute Kritiken bekommen.
Der Produktion von "Facticity" wird unter anderem vorgeworfen, dass sie etwas zu sachlich geraten ist. Ich persönlich mag die schnörkellose differenzierte Produktionsweise. Wie seid ihr mit der Produktion zufrieden, war die klare Produktion Absicht?
Lukas Spielberger: Ja das war ganz klare Absicht. Wir wollten auf keinen Fall eine aufgeblasene Produktion. Mir persönlich geht es meistens so, dass ultra-fett produzierte Aufnahmen beim ersten mal Hören zwar ziemlich cool ankommen, aber bei mehrmaligem Hören mich immer mehr nerven, weil es einfach zu übertrieben und künstlich klingt. Die CDs, die ich selbst nach unzähligen Durchgängen noch gerne anhöre sind meist die natürlichen, differenzierten Produktionen. Deshalb freut es mich umso mehr dass du, und wie ich schon in einigen anderen Reviews gelesen hab, manch anderer das auch so sieht.
Ihr spielt zweifelsohne eine Art des Death Metal, die mehr Zeit braucht, als eine 08/15 Truppe, die sich nur konsumieren lässt. Glaubt ihr, dass das Publikum heutzutage noch die Geduld aufbringt, sich wirklich mit der Musik beschäftigt? Kann eine technische Band wie ihr überhaupt noch kommerziellen Erfolg haben?
Lukas Spielberger: Naja, kommerziellen Erfolg natürlich nur in begrenztem Ausmass. Ich finde schon, dass besonders in den letzten Jahren das Interesse an Prog-/Tech-Bands gestiegen ist. Auch wenn dem mit Sicherheit eine Grenze gesetzt ist. Aber da wir Over Your Threshold nicht hauptberuflich betreiben, ist unsere Devise eher, dass wir kompromisslos die Musik machen die uns gefällt und uns dadurch noch mehr darüber freuen wenn unsere Musik bei den Leuten ankommt.
Ihr zeigt unermüdlich Zeichen, dass ihr euch weiter entwickeln möchtet. Das ist auch auf "Facticity" nicht zu überhören. Wohin wird eure Reise in Zukunft gehen, geht es noch komplexer zu Gange oder werden künftige Stücke weniger verflochten?
Lukas Spielberger: Ja das stimmt, die Entwicklung ist auf jeden Fall zu hören. Das liegt einfach daran, dass die Songs über einen längeren Zeitraum entstanden sind, in dem wir uns wiederum als Musiker sehr stark entwickelt haben. Beispiele für ältere Songs sind "Self Exhibition" oder "Obscure Mind Stasis" wobei es sich beim Titeltrack "Facticity" und "Contextual Fluctuating" um die neusten Songs handelt. Die zukünftigen Songs werden mit Sicherheit eine gewisse Komplexität beibehalten, allerdings möchten wir das ganze stets so in Grenzen halten, dass ein roter Faden zu erkennen ist und der gesamte Song, selbst beim ersten Hören, halbwegs eingängig ist. Bei der nächsten Scheibe wird bestimmt wieder eine Weiterentwicklung zu hören sein, jede Band braucht erst mal etwas Zeit um ihren eigenen Stil zu finden, ich denke, das geht über die erste CD hinaus.
Wenn man "Facticity" aus einer lyrischen Sichtweise anschaut, welche Fakten könnt ihr liefern?
Lukas Spielberger: Die Lyrics auf "Facticity" stammen alle von unserem vorherigen Sänger Leo, der ziemlich gut Arbeit geleistet hat. Das Artwork hat nämlich ein Konzept und steht im Einklang mit den Texten. Das Front Cover ist eine Anspielung auf das Gemälde "Die Schule von Athen" von Raffael. Dabei stellt die Kreatur die beiden Philosophen Aristoteles und Platon in einer Person dar. Der Fingerzeig in den Himmel repräsentiert den Glauben mancher Menschen an übernatürliche Kräfte. Der Deut auf die Erde verweist auf das weltliche Leben und betont die faktischen Bedingungen des Menschseins. Deshalb "Faktizität" oder eben "Facticity".
Zum Schluss noch ein bisschen Zukunftsmusik: Wo sieht ihr euch in fünf Jahren, persönlich und mit der Band? Was sind eure Ziele, wo wollt ihr euch weiter entwickeln?
Lukas Spielberger: Unser nächstes grösseres Ziel ist es möglichst viele Konzerte zu spielen oder besser noch auf Tour zu gehen, um "Facticity" ordentlich promoten zu können. Unterdessen arbeiten wir natürlich schon wieder an Songs für das nächste Album. Im besten Fall haben wir dann in fünf Jahren zwei oder drei weitere Alben veröffentlich und die eine oder andere Tour auf dem Buckel. Musikalisch gesehen wollen und werden wir uns natürlich ständig weiterentwickeln, sonst würde uns langweilig werden.