Was machen Finnen, wenn sie nicht schlafen können?
Wahrscheinlich auch nichts anderes als wir. Nicht so Niilo, der offensichtlich
öfters übermüdete Vokalist und Bassist der melodic Death Metal Band Insomnium,
welcher in diesen Fällen dann wohl lieber Musik komponiert.
Warum es ein Skandal ist, dass man die Stadt Joensuu nicht kennt, was die "Halls
Of Awaiting" sind, wieso Insomnium bei ihrem Debut einen mächtigen Blaustich
haben und warum man an den Schluss eines Albums auch mal einen längeren Track
hängen kann, erfahrt Ihr hier und jetzt.
Kannst Du uns zuerst etwas über die Bandgeschichte erzählen, damit die Leser
wissen, über wen wir hier reden?
Niilo: Ok. Wir gründeten uns im Winter des Jahres 1997 in Joensuu, einer kleinen
Stadt in der Provinz Nord-Karelia, welche ganz im Osten von Finnland liegt. Das
Line-Up sah damals folgendermassen aus: An den Drums war Tapani Pesonen, die
Gitarren bedienten Ville Firman und Markus Hirvonen, und ich übernahm den Bass
sowie die Vocals. Zuerst spielten wir Coverversionen von Bands wie
beispielsweise Amorphis, Entombed, Paradise Lost und Sepultura. Die ersten
eigenen Songs, die wir komponierten, waren sehr schnell und melodisch,
allerdings nicht sonderlich hart. Mit der Zeit wurde unsere Musik aber düsterer
und orientierte sich hauptsächlich am skandinavischen, melodischen Death Metal
der Mitte 90er Jahre. Im Sommer 1998 gab erste Line-Up Changes. Markus ersetzte
Tapani an den Drums, und Timo Partanen kam als neuer Gitarrist in die Band. Das
war auch der Zeitpunkt, an welchem wir den Namen Insomnium wählten. Nach einem
ersten Demo im April 1999 und einem zweiten im August 2000 erhielten wir im
kommenden Jahr einen Plattenvertrag mit Candlelight Records aus England. Einige
Monate später ersetzte Ville Vänni Timo Partanen an der Gitarre. In dieser
Besetzung nahmen wir dann im Juli unser Debut, In The Halls Of Awaiting, auf.
Insomnium scheint das lateinische Wort für das englische "insomnia" zu sein,
was so viel wie Schlaflosigkeit bedeutet. Nun, auf den Promophotos seht Ihr
jedenfalls ein bisschen erschöpft aus, also passt der Name auch ganz gut. Aber
ernsthaft. Wieso gerade Insomnium?
Niilo: Wir sehen tatsächlich ein wenig erschöpft auf den Photos aus, was wohl
daran liegt, dass diese an einem Sonntag Morgen gemacht wurden. Wir litten zudem
an einem mächtigen "Kater" als Folge einer ziemlich wilden Rock'n Roll Nacht.
Jedenfalls passt dieser Name sehr gut zu uns, weil sich unsere Lyrics sehr oft
mit träumerischen Geschichten und Atmosphären beschäftigen. "Insomnium" bedeutet
auch "Alptraum", was wiederum die Härte sowie die brutalen Aspekte unserer Musik
beschreibt. Ich habe übrigens tatsächlich oft Schlafprobleme, was manchmal
ziemlich irritierend sein kann. Letzten Montag haben wir zum Song The Elder ein
Video gedreht. In der vorangegangenen Nacht hatte ich gerade mal eine Stunde
geschlafen. Ich war während der gesamten Drehzeit total übermüdet.
Kannst Du uns etwas über Eure Heimatstadt, Joensuu, erzählen? Ich habe noch
nie zuvor etwas von dieser Stadt gehört.
Niilo: Es überrascht mich, dass Du noch nie etwas von Joensuu gehört hast!
Joensuu ist eine kleine Stadt mit 50'000 Einwohnern in der Provinz von
Nord-Karelia, ganz im Osten von Finnland. Wir haben eine Universität und andere,
grössere Schulen hier. Darum gibt es in Joensuu sehr viele Studenten und junge
Leute und somit auch viele Rockfans und Bands. Im Sommer wird hier eines der
grössten Rockfestivals Finnlands veranstaltet, das Ilosaarirock, an welches ca.
20'000 Leute pro Tag kommen. Wir haben bereits zwei Mal dort gespielt. Joensuu
ist von ausgedehnten Waldlandschaften und zahlreichen Flüssen umgeben, was
unsere Musik und vor allem auch unsere Lyrics sehr stark beeinflusst hat.
Karelia ist auch die Region, in der Elias Lönnrot im 19. Jahrhundert "die
Gedichte von Kalevala" gesammelt hat, welche die finnische Nationalgeschichte
darstellen. Somit stammt auch sehr viel Kultur aus diesen weiten Wäldern.
Die Landschaft auf dem Cover und den Promophotos ist wunderschön. Wurden die
irgendwo in Eurer Nähe gemacht?
Niilo: Das Coverphoto wurde nur einen Fussmarsch entfernt von Joensuu gemacht.
Wir kannten den Platz aus einem Buch, das von der Nord-Karelianischen Natur
handelt. Die Promophotos selbst wurden in Joensuu aufgenommen, nur ein paar
Kilometer vom Stadtzentrum weg. Hier bei uns muss man nicht sehr weit gehen, um
mitten im Wald zu stehen.
Ich finde es sehr sympathisch, dass Ihr offensichtlich kein starkes Image
habt und nur die Musik zählt. Ihr seht nicht böse aus, da sind keine Monster und
Dämonen auf dem Cover und Eure Texte handeln weder von Blut noch Mord. Ist es
Euer Image, kein Image zu haben?
Niilo: Wir sind genau das, was wir sind, und wir geben nicht vor, etwas zu sein,
was uns nicht entspricht. Es ist tatsächlich die Musik, die zählt. Es spielt
keine Rolle, wie sehr Du Dein Gesicht anmalst oder wie schockierend Deine Bilder
oder Lyrics auf dem Album sind. Das macht Deine Musik nicht besser. Einige Bands
konzentrieren sich zu stark auf Äusserlichkeiten und vergessen dabei das
Komponieren, was ja schliesslich das essentielle Element beim Musikmachen ist.
Vielleicht verleihen uns die Photos etwas das "stille, düstere Männer aus den
nördlichen Wäldern"-Image, aber das würde eher unsere Musik als unsere
Persönlichkeiten beschreiben. Da unsere Lyrics traurig und wehmütig sind, und
wir dazu melancholische Musik spielen, können wir ja schlecht fröhlich auf den
Photos aussehen. Das Booklet und die Bilder müssen zur Musik passen, denn all
diese Faktoren zusammen bilden ein Ganzes.
Ein Song, der besonders bemerkenswert ist, ist der Titeltrack In The Halls Of
Awaiting, der etwa elf Minuten dauert und somit um einiges länger als die
anderen Songs ist, und es scheint so, als ob Ihr durchaus in der Lage sein
würdet, interessante, komplexere Stücke zu schreiben. Wusstet Ihr einfach nicht,
wie Ihr aufhören solltet oder werdet Ihr in Zukunft mehr solcher Titel
schreiben? War dieser Song eine Art Test? Ich mein, wieso nicht, Ihr könntet ja
die finnischen Anathema werden! (bleib auffem Teppich, Junge - Verf.)
Niilo: Es war tatsächlich eine Art von Experiment. Ich wollte ein langes Ende
für das Album haben und meine Limits als Komponist testen. Aber es war nicht
meine Absicht, einen "höllisch langen Song" zu schreiben. Er sollte einfach ein
bisschen komplexer und anders als die anderen Titel sein. Ich glaube, dass der
letzte Song durchaus ein bisschen länger sein darf, denn schliesslich muss man
sich am Schluss eines Album ja nicht beeilen. Es kommen keine anderen Tracks
mehr, also kannst Du Dich auf diesen konzentrieren. Und wenn Du das Album magst,
wünscht Du Dir sowieso, das es nicht so schnell zu Ende ist, und dann ist es
auch eine schöne Überraschung, wenn das Stück nicht bereits nach fünf Minuten
aufhört sondern weitergeht. Wahrscheinlich wird es auf dem nächsten Album auch
einige längere Stücke geben, denn offensichtlich mag jeder diesen letzten Track
sehr. Er ist auch sehr schön zu spielen. Aber dies wird uns sicherlich nicht in
die finnischen Anathema verwandeln, auch wenn das eine grossartige Band ist.
Was sind die "Halls Of Awaiting"? Stellen diese einen speziellen Ort dar,
oder sind sie ein Symbol für etwas?
Niilo: Dieser Ausdruck kommt von J.R.R. Tolkien's The Silmarillion. Es ist ein
Platz, an den Elfen gehen, nachdem sie gestorben sind. Es ist kein Paradies,
sondern ein grosser, ruhiger, schattiger Garten, wo diejenigen, die gestorben
sind, auf die anderen warten, die noch leben. Es ist auch der Ort der Sehnsucht
in unseren Songs, an dem der Erzähler, der gestorben ist, auf seine Geliebte
wartet, und er fragt sich, ob er sie jemals wiedersehen wird.
Vielleicht denkst Du jetzt, dass das seltsam ist. In The Halls Of Awaiting
ist ein melodic Death Metal Album. Es ist natürlich heavy, aber gleichzeitig
empfinde ich es auch als entspannend, wenn ich es höre. Ist es nicht etwas
komisch, sich zu einem Death Metal Album zu entspannen? In The Halls Of Awaiting
scheint ein gutes Mittel gegen Schlafstörungen zu sein, was jetzt nicht heissen
soll, dass ich einschlafe, wenn ich das Album höre.
Niilo: Ich weiss, was Du meinst. Wir wollen nicht, dass die Leute Kopfschmerzen
von unserem Album bekommen. Wir möchten, dass sie sich dabei gut fühlen. Wir
haben wirklich versucht, das Album verträumt und interessant zu gestalten, so
dass der Hörer sich dabei entspannen und in eine traumartige Atmosphäre fallen
kann. Es ist eine andere Welt oder eine merkwürdige Reise, die Dich die echte
Welt für einen Moment vergessen lässt. Die beste Art, dieses Album zu geniessen,
ist, die Lichter auszumachen, sich hinzulegen, die Augen zu schliessen und das
Album von Anfang bis Ende mit Kopfhörern durchzuhören. Aber natürlich ist es
auch ein Death Metal Album, zu welchem Du headbangen und trinken kannst. Musik
für alle Lebenslagen!
Einer der wichtigsten Farben für Insomnium scheint blau zu sein. Es ist
überall, auf dem Booklet, auf den Booklet Photos, den Promo Photos usw. Ist Blau
einer Eurer Lieblingsfarben?
Niilo: Der Hauptgrund für das ganze Blau war das Cover Photo, das wir wählten,
denn dies war auch blau. Die anderen Bilder und Grafiken mussten dazu passen,
also mussten sie ebenfalls blau sein. Blau ist eine kalte Farbe, und daher denke
ich, dass sie gut zu unserer Musik passt. Ausserdem begegnest Du Blau in der
finnischen Natur in den zahlreichen Seen und natürlich auch in der Farbe des
Himmels. Blau und Weiss sind nicht zufällig die Farben der finnischen
Nationalflagge.
Und was sind die nächsten Pläne für die Band?
Niilo: Wir haben ja gerade das Video gedreht, und jetzt werden wir es erst mal
bearbeiten müssen. Hoffentlich kann man es bald in Europa sehen. Und jetzt, wo
das Album fertig ist, möchten wir natürlich ein paar Gigs machen. Im kommenden
Herbst würden wir gerne durch Europa touren, aber diese Entscheidung liegt nicht
bei uns. Zuvor werden wir hoffentlich auf einigen Sommerfestivals in Finnland
auftreten können. Das nächste Album werden wir dann wahrscheinlich im Sommer
2003 aufnehmen.
Insomnium - Schlaflos in Joensuu
- Details
- Geschrieben von Skoddete
- Kategorie: Interview
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Was machen Finnen, wenn sie nicht schlafen können? Wahrscheinlich auch nichts anderes als wir. Nicht so Niilo, der offensichtlich öfters übermüdete Vokalist und Bassist der melodic Death Metal Band Insomnium...