Zwanzig Jahre mit dabei und noch kein bisschen
eingerostet, das können nicht alle von sich behaupten. Grave Digger ist
sicherlich nicht die einzige Band, die sich über die Jahre hinweg gerettet hat,
aber den meisten anderen Acts hört man ihr Alter auch an. Nicht so Chris
Boltendahl und seinen Gefolgsleuten, die mit The Grave Digger wieder einmal ein
echt starkes Album abgeliefert haben.
Zum Gespräch fand sich Schlagzeuger Stefan Arnold ein, ein Mitglied einer
Musikergattung also, die bei Grave Digger bisher vor allem eine Funktion hatte,
nämlich früher oder später wieder rauszufliegen. Stefan scheint sich allerdings
gut zu halten, denn immerhin steht er schon sechs Jahre im Dienste der
Totengräber, und wenn's nach ihm geht, wird sich das auch nicht so schnell
ändern ...
Wie lange bist Du denn eigentlich schon bei Grave Digger?
Stefan: Seit dem 15. September 1995.
In der Bandgeschichte von Grave Digger gab es ja eine Menge Line-Up Wechsel.
Vier davon waren Drummer, und das entspricht etwa 50%. Hast Du eine Zukunft bei
Grave Digger?
Stefan: Haha. Nun ja, ich bin derjenige, der es bisher mit Abstand am Längsten
ausgehalten hat! Aber es ist richtig, es gab sehr viele Line-Up Wechsel, wobei
man sagen muss, dass Uwe (ex-Gitarrist - Verf.) dreizehn Jahre bei Chris (Boltendahl,
vocals - Verf.) geblieben ist. Diejenigen Musiker, die ausgewechselt wurden,
waren solche, welche, wie man gemeinhin sagt, ohnehin auswechselbar sind, also
die Bassisten und Schlagzeuger. Man kann eben mit diesen beiden Instrumenten nur
bedingt eine Band beeinflussen. Dennoch habe ich persönlich genügend
Entfaltungsmöglichkeiten. Bei den Wechseln haben auch sehr viele persönliche
Gründe eine Rolle gespielt. Aber im Moment läuft innerhalb der Band alles
wunderbar.
Chris Boltendahl ist ja das einzig wirklich verbliebene Urmitglied von Grave
Digger. Wie ist Chris denn so als "Chef"?
Stefan: Chris ist eigentlich "nur auf Papier" der Chef, weil er der
Geschäftsführer von Grave Digger ist. In diesen Dimensionen muss das auch so
sein, damit jemand den finanziellen Überblick hat und Entscheidungen treffen
kann. Aber er ist auch jemand, der immer nach unserer Meinung fragt. Ob er diese
Meinung dann annimmt oder schlussendlich seine eigene durchsetzt, ist natürlich
eine andere Sache. Doch ich habe schon unzählige Male miterlebt, dass er auch
Ratschläge von anderen Leuten angenommen hat. Chris ist ein total angenehmer
Zeitgenosse, der zudem mittlerweile dem Alkohol und der Raucherei völlig entsagt
hat, gleichzeitig aber noch durchgedrehter geworden ist als früher, haha.
Darauf wollte ich gleich kommen. Chris ist ja auch schon ein paar Jährchen
dreissig ...
Stefan: Ja, er wird bald vierzig! Chris war auch schon vor dieser Phase völlig
durchgeknallt und verrückt, hat den Leuten ständig Streiche gespielt oder sie
total veräppelt. Wir dachten, dass mit der Entsagung an den Alkohol und die
Raucherei ein Bruch stattfindet, dass er seriöser und ein wenig ruhiger wird.
Aber es ist genau das Gegenteil passiert! Man muss immer aufpassen, dass man
nicht ständig von ihm reingelegt wird!
Wenn man längere Zeit auf Tournee geht, muss man sich ja auch physisch fit
halten. Das alte Klischee von "jeden Abend saufen" kann somit auch nicht mehr
stimmen.
Stefan: Richtig. Wenn ich als Schlagzeuger vor dem Konzert Alkohol trinke, kann
ich einfach nicht mehr konzentriert spielen und schwitze auch um so mehr. Daher
gibt's bei mir vor den Auftritten keinen Alkohol - völlig diskussionslos. Danach
trinkt man dann halt seine zwei drei Bierchen, denn wenn Du im Bus schlafen
musst, brauchst Du schon ein paar Tropfen Alkohol im Blut, um überhaupt
einzunicken, aber dann nicht gleich so, dass wir gar nicht mehr stehen können.
Mittlerweile sind wir auch zu alt für sowas. Es gibt sicherlich noch Anlässe, an
denen man so richtig feiert - wenn beispielsweise mal eine befreundete Band
vorbeikommt. Früher waren solche Feste die Regel, aber seit etwa drei oder vier
Jahren geht alles sehr viel ruhiger und entspannter zu. Man fühlt sich auch
gesünder, wenn man von der Tour nach Hause kommt. Würden wir heute noch
pausenlos feiern, müssten wir nach der Tournee regelmässig zwei Wochen ins
Sanatorium.
Als ich die neue Grave Digger CD gehört habe, stellte ich erstaunt fest, dass
dies ja immer noch der typische Grave Digger Sound war, und das nach zwanzig
Jahren, ohne dabei antiquiert zu wirken.
Stefan: Du bist jetzt der achte Interviewpartner heute, der genau das gleiche
über die neue CD sagt! Einer hat gemeint, er hätte sich vor dem Interview zuerst
noch die War Games (1986 - Verf.) und danach die The Grave Digger Platte
angehört. Abgesehen von der Produktion habe er überhaupt keinen Unterschied
herausgehört. Unsere Musik sei völlig zeitlos.
Was glaubst Du, macht es aus, dass Grave Digger nach zwanzig Jahren immer
noch irgendwie zeitgemäss klingen, obwohl Ihr das von der Musik her gesehen
eigentlich gar nicht mehr seid?
Stefan: Ich denke, es sind viele Faktoren, die hier zusammenspielen. Wir haben
beispielsweise mit dem Keyboarder, den wir ja jetzt schon viele Jahre mit dabei
haben, ein weiteres, musikalisches Spektrum erschliessen können, da dieser sehr
viel Abwechslung in unsere Songs einfliessen lassen kann. Dann wäre da noch
Chris' Gesang, welcher eigentlich seit zwanzig Jahren der gleiche ist, auch wenn
sich Chris natürlich zwischenzeitlich sehr verbessert hat. Ferner kommt dazu,
dass sich Manni ("neuer" Gitarrist - Verf.) perfekt in das Bandgefüge einfinden
konnte - fast noch mehr als Uwe es getan hat. Chris hatte eine genaue
Vorstellung davon, wie es mit Grave Digger nach Uwe weitergehen sollte, und
Manni konnte sich perfekt mit seiner Rolle identifizieren. Es ist auch so, dass
Chris, wenn er ins Studio geht, die Songs schon mehr oder weniger komplett im
Kopf hat. Es ist Wahnsinn, was in diesem kleinen Gehirn so alles vor sich geht,
haha. Aber genau das sehe ich mit als Grund, warum die Musik bis heute so
konstant geblieben ist. Es gab viele Magazine, die am Schluss ihrer Reviews
folgenden Satz geschrieben haben: "Willkommen Grave Digger im 21. Jahrhundert."
Die Metalszene heute ist ja nicht mehr die gleiche wie die vor zehn oder
fünfzehn Jahren. Oder wie empfindest DU die heutige Szene? Anders?
Stefan: Vor zehn oder fünfzehn Jahren gab es noch diese berühmt berüchtigten
"Kämpfe unter den Bands", als Band X aus der selben Stadt wie Band Y kam und
sich darüber aufregte, weil Band Y zehn T-Shirts oder Platten mehr verkauft
hatte als sie selbst. Diese Eifersucht aufeinander war damals extrem. Heute ist
es so, dass die Bands mehr zusammenarbeiten, was vielleicht auch daran liegt,
dass wir alle ein bisschen älter geworden sind. Es ist einfach eine schöne
Sache, auf Tour oder auf Festivals alte Freunde zu treffen, egal ob das jetzt
Destruction, Helloween, Rage oder Running Wild sind. Die Fans andererseits
empfinde ich heute sogar noch als enthusiastischer als früher.
Die Bands, die Du genannt hast, sind weitgehend alles Acts aus "Eurer" Zeit.
Spielt sich diese Zusammenarbeit auch mit den jüngeren Bands ab oder ist es eher
so, dass sich "die alte Generation" untereinander unterstützt?
Stefan: Wir kommen auch mit jüngeren Bands zusammen, zugegebenermassen nicht so
viel wie mit den Bands unserer Zeit. Ich sehe uns selbst als Band der zweiten
Generation. Zu der ersten gehörten Gruppen wie beispielsweise Saxon, Maiden oder
Mötörhead. Die zweite Generation bestand dann aus Acts wie Accept, Running Wild,
Helloween, Rage oder eben auch Grave Digger.
Das Wort "Erfolg" kann man ja verschieden definieren. Man kann es an den
Verkäufen einer Platte messen, aber auch an der Beständigkeit einer Band. Wie
definierst Du für Dich persönlich "Erfolg"?
Stefan: "Erfolg" fängt für mich persönlich damit an, ob ich meine Ideen, die ich
habe, auch auf der Platte umsetzen kann. Wenn das Ergebnis schlussendlich so
klingt, wie ich mir das vorgestellt habe, dann ist das schon mal ein Erfolg. Die
nächste Stufe ist es, das Ganze "unter's Volk" zu bringen, denn ich möchte ja
dem Publikum etwas "mitteilen". Wenn die Plattenfirma gut arbeitet und uns
überall repräsentiert, dann ist das der nächste Erfolg. Und wenn dann die Leute
die CD auch noch kaufen, verspürst Du abermals ein Erfolgserlebnis. Es gibt also
mehrere Schritte des Erfolgs. Das allergrösste Erfolgserlebnis für mich ist es
allerdings, wenn die Konzerte ausverkauft werden können, wenn die Leute zu
Deinen Auftritten kommen und Dich sehen möchten, während Du spielst. Wenn Du mal
dreissig geworden bist, beginnt der Erfolg eigentlich schon dann, wenn Du
morgens aufwachst und Dir nichts weh tut, haha. Aber im Ernst. Ich kann nicht
sagen, dass es mir scheissegal wäre, ob die Leute unsere Platten kaufen oder
nicht. Dann wäre ich ein schlechter Musiker und auch ein schlechter Profi. Ich
möchte mit meiner Musik ja auch etwas erreichen, und wenn ich keine Platten
verkaufe, kann ich meine Stöcke einpacken. Schlussendlich sind es die Fans, die
uns finanzieren, und wir brauchen sie, genau wie eine Fussballmannschaft. Aber
dafür müssen wir ihnen auch etwas bieten.
Was würdest Du einer jungen Band raten, wenn sie auch mal zwanzig Jahre mit
dabei sein möchte?
Stefan: Das kann ich Dir beantworten. Die meisten Bands sind nicht dazu bereit,
fünf Mal in der Woche in den Proberaum zu fahren und jeweils drei oder vier
Stunden zu proben. Ich weiss, dass das eine Qual ist, aber Ausdauer und Wille
sind das Wichtigste. Meine vorigen Bands haben es nie geschafft, weil ihnen
genau diese Eigenschaften fehlten.
Eure alten Tourpläne sind schon beeindruckend. Ihr habt ja quasi mit allen
schon mal getourt. Mit Maiden, Celtic Frost, Mötörhead, Manowar, Warlock,
Running Wild und vielen anderen mehr. Gibt es eine spezielle Band, mit der Du
gerne mal auftreten würdest, auch wenn's nur als Vorgruppe wäre?
Stefan: Priest und Saxon! Auch Kiss wäre eine interessante Konstellation, aber
da interessiert sich keine Sau für die Vorband, haha.
So, jetzt wollen wir doch noch ein bisschen über Eure neue Platte sprechen,
über die Stories hinter den Lyrics. Erzähl mal etwas dazu.
Stefan: Hast Du die CD gerade zur Hand?
Äh ja, moment ... wo ist sie denn? (Organisation ist das halbe Leben - Verf.)
...
Stefan: Siehst Du den Grabstein auf dem Cover respektive was da drauf steht?
Ich kann die CD nicht finden!
Stefan: Ok, ich sag's Dir jetzt, Du brauchst sie nicht zu suchen, haha. "In
Memory Of Edgar Allan Poe". Dieser Schriftsteller hat Chris stark beeinflusst.
Chris hat einige von Poe's Stories übernommen und sie musikalisch umgesetzt. Ein
paar Geschichten in den Lyrics stammen auch von Chris selbst. The Grave Digger
ist also kein herkömmliches Konzeptalbum.
Das ganze nachfolgende Geplapper zweier Herren hier abzutippen, wäre wohl ein
endloses Unterfangen, aber dennoch soll Euch das Wichtigste noch verraten
werden. Grave Digger werden ihre kommende Tour in der Schweiz starten, und zwar
im Januar 2002 in der Konzertfabrik Z7. So jedenfalls liess Stefan es verlauten.
Also dann, überzeugt Euch selbst davon. Den entsprechenden Link kennt Ihr ja ...
Grave Digger - Willkommen im 21. Jahrhundert
- Details
- Geschrieben von Skoddete
- Kategorie: Interview
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Zwanzig Jahre mit dabei und noch kein bisschen eingerostet, das können nicht alle von sich behaupten. Grave Digger ist sicherlich nicht die einzige Band, die sich über die Jahre hinweg gerettet hat...